James Bond Special

Ist James Bond ein Weinkenner?

Von 007 lernten wir, dass zum stilsicheren Auftritt Wissen über Wein und Champagner gehört. Aber ist Bond der Connaisseur, der er vorgibt, zu sein? Wir befragten Experten.

VON HOLGER CHRISTMANN
5. August 2021
Prickelnd: Roger Moore und Kristina Wayborn im Bond-Abenteuer Octopussy. Foto: Danjaq LLC/Bollinger

Im ersten James-Bond-Roman Casino Royale (1953) trägt das achte Kapitel den schönen Namen Rosa Lichter und Champagner. Hier trifft der Agent seine schöne Kollegin Vesper Lynd zum Dinner. Nachdem sie ihr Essen ausgesucht hat – Kaviar, dann Kalbsnieren mit Pommes soufflés – schlägt er vor: „Wenn es Ihnen recht ist, würde ich heute abend gern Champagner mit Ihnen trinken.“ Er wendet sich zum Sommelier und fragt nach dem Taittinger ‘45. Der antwortet: „Ein hervorragender Wein, Monsieur … Aber wenn Monsieur“, er deutet mit seinem Stift, „erlauben. Der Blanc de Blancs Brut 1943 der gleichen Marke sucht seinesgleichen.“ „Das ist keine bekannte Marke“, erklärt Bond seiner Begleiterin, „aber der wahrscheinlich beste Champagner der Welt.“ Dann heißt es: „Als ihm sein anmaßender Tonfall auffiel, musste er lächeln.“ Das ist die erste Szene, in der es Bond genießt, mit Weinwissen zu glänzen. Wenige Jahre später sitzt er im Roman Moonraker (1955) mit seinem Vorgesetzten M beim Dinner im Londoner Gentleman-Club Blades (ein erfundener Name). Wieder entspinnt sich ein Dialog um die Essenswahl, man diskutiert über Beluga-Kaviar, scharfe Nierchen, Lammkoteletts und Spargel mit Sauce béarnaise. Bond gesteht seine Schwäche für „gut geräucherten Lachs“. Dann ruft M den Sommelier Grimley an den Tisch und bestellt einen Wodka. M belehrt Bond: „Nicht den Fusel, den Sie in Ihrem Cocktail hatten: Das ist echter Wolfschmidt aus Riga, noch von vor dem Krieg.“ „Und danach“, fragt M. „Champagner? Ich persönlich möchte eine halbe Flasche Claret. Bitte den 34er Mouton Rothschild, Grimley … Wir haben ein paar gute Champagner, nicht wahr, Grimley? Allerdings nichts von dem Zeug, von dem Sie mir immer erzählen, befürchte ich, James. Das bekommt man in England nicht so oft zu Gesicht. Taittinger, nicht wahr?“ Weiter heißt es: „M‘s gutes Gedächtnis ließ Bond schmunzeln. ,Ja, sagte er, ,aber das ist nur so eine Marotte von mir. Tatsächlich würde ich heute Abend aus verschiedenen Gründen gerne Champagner trinken. Vielleicht kann ich die Wahl Grimley überlassen.“ Der Sommelier zeigt sich erfreut. „Wenn ich einen Vorschlag machen darf, Sir, der ‘46er Dom Perignon. Wie ich gehört habe, verkauft ihn Frankreich nur gegen Dollar, Sir, also sieht man ihn in London nicht sehr oft. Ich glaube, es war ein Geschenk des Regency Clubs in New York, Sir. Ich habe gerade ein paar Flaschen kaltgestellt. Es ist das Lieblingsgetränk des Präsidenten, und er hat mich angewiesen, ihn jeden Abend bereitzuhalten, für den Fall, dass er ihn braucht.“ Bond lächelt angesichts dieses Arrangements. „So sei es, Grimley“, sagte M. Im Roman Goldfinger (1959) macht der Agent auch mit stillen Weinen Bekanntschaft. Der Bösewicht Goldfinger empfiehlt ihm: „Bitte probieren Sie den Mosel. Ich hoffe, er trifft ihren Geschmack. Es ist ein ‘53er Piesporter Goldtröpfchen.“ An anderer Stelle lässt der Ganove für den Agenten gebratene Ente servieren und reicht dazu eine Flasche Château Mouton-Rothschild 1947.

Als Bahnfahren noch Eleganz besaß: James Bond (Sean Connery) und Tatiana Romanova (Daniela Bianchi) trinken im Speisewagen Taittinger Comtes de Champagne Blanc de Blanc. Der ungehobelte Spectre-Agent (Robert Shaw) bestellt hingegen Chianti zum Fisch. Eine Szene aus From Russia with Love (1963). Foto: United Artists/Danjaq LLC
Bond-Autor Ian Fleming bedankte sich 1963 bei Claude Taittinger für eine Lieferung Champagner. Foto: Taittinger

Die Romanszenen weisen auf den James Bond voraus, den das Publikum seit den 1950er Jahren auf der Kinoleinwand erleben sollte. Den Draufgänger, der sich mehr und mehr zum kultivierten Gentleman entwickelt. Und ein solcher zeichnet sich auch durch Weinwissen aus. Die Szenen der folgenden Jahre sind unvergessen: Schon in Dr. No, der ersten 007-Verfilmung, erweist sich Bond als Champagnerliebhaber. Und offenbar ist er auch schon ein Experte für Dom Perignon. Als er mit Dr. No diniert, greift der Agent nach einer Champagnerflasche, um seinen Gegner anzugreifen. Der erschrickt: „Das ist ein Dom Perignon ’55. Es wäre eine Schande, ihn zu zerbrechen“, worauf Bond antwortet: „Ich persönlich ziehe den ‘53er vor.“

Unvergessen auch jene Szene im Film Goldfinger, in der Bond die Runde mit seinem Cognac-Wissen beeindruckt. Bond, M und Colonel Smithers sitzen vor ihren Tellern und Gläsern. Smithers fragt Bond: „Trinken Sie noch einen Schluck von diesem enttäuschenden Cognac?“ M blickt fragend in die Runde: „Was haben Sie gegen ihn?“ Bond doziert: „Ich würde sagen, es ist ein dreißig Jahre alter, mittelmäßig verschnittener Cognac … (er riecht an ihm) … mit etwas zu viel Bons Bois.“ Vermutlich wusste kaum ein Zuschauer außerhalb Frankreichs, was mit Bons Bois gemeint war. Es handelt sich um eine eher mittelprächtige Lage in der Region Cognac, deren Branntweine schnell altern. Die feinsten Cognacs stammen aus der Lage Grande Champagne (nicht mit der Champagne zu verwechseln). Im selben Film erwartet Jill Masterson im Hotel Fontainebleau in Las Vegas den Agenten im Bett. Als Bond den Champagner öffnen will, merkt er, dass der viel zu warm ist. Er klärt sie auf: „Mädchen, es gibt ein paar Dinge, die man nicht tut. So etwa einen 1953er Dom Perignon über einer Temperatur von 38 Grad Fahrenheit (drei Grad Celsius) zu trinken.“ Womit er etwas übertrieb: Die optimale Trinktemperatur für einen Jahrgangschampagner liegt bei acht bis zwölf Grad Celsius.

Beim Wein schwört
Bond auf
Mouton-Rothschild

Wenn Bond Rotwein trinkt, vertraut er auf Bordeaux, vor allem auf Château Mouton-Rothschild. Er habe die Jahrgänge 1934 (im Roman Moonraker), 1947 (Goldfinger-Roman) und 1955 (im Film Diamonds Are Forever) hervor. Bond spricht gerne von Claret, dem englischen Namen für roten Bordeaux. Im Film Diamantenfieber entlarvt er einen falschen Kellner, weil der nicht weiß, was ein Claret ist. Ganz selten trinkt Bond deutschen Wein. Im Buch Live and Let Die bringt der Zimmerservice 007, seinem CIA-Kollegen Felix Leiter und Captain Dexter „Weichpanzerkrabben mit Sauce tartare, Rindfleisch-Hamburger vom Holzkohlegrill, halb durch, Pommes Frites, Broccoli, gemischten Salat mit Thousand-Island-Dressing, Eiscreme mit geschmolzenem Butterscotch und den besten Liebfraumilch, den man in Amerika bekommen kann.“ Benannt nach der Wormser Liebfrauenkirche, war der süßliche Wein ein Synonym für die eher mindere Qualität deutscher Gewächse.

Baron Philippe de Rothschild (1902–1988) übernahm 1922 im Alter von 20 Jahren das Weingut Mouton-Rothschild. Er steigerte die Qualität des Weins und bewies auch sonst Pioniergeist: So ließ er als erster Produzent alle Flaschen auf dem Weingut und nicht beim Händler abfüllen und gründete mit Mouton-Cadet eine erfolgreiche Zweitmarke. Foto: Mouton-Cadet

Aber wie gut ist Bonds Weinwissen wirklich? Ist der Agent der vollendete Connaisseur, der er vorgibt zu sein? Das herauszufinden ist nicht ganz einfach. Zwar gibt es historische Informationen über die Qualität von Jahrgängen und Weingütern. Und einige der Jahrgänge wurden später von Testern verkostet. Doch da schmeckten sie oft schon nicht mehr so wie zur Zeit ihrer optimalen Trinkreife. Trotzdem lohnt es sich, Bonds Weinauswahl unter die Lupe zu nehmen.

Der älteste bei Bond lobend erwähnte Wein ist der Château Mouton-Rothschild 1934. Das Weingut in Pauillac im Médoc gehörte schon damals zu den bestgeführten im Bordeaux, doch erst 1973 wurde es als Nummer fünf in die offizielle Liste der Premiers Crus Classés von Bordeaux aufgenommen. 1922, als der erst 20-jährige Philippe de Rothschild die Leitung übernahm, gehörten nur vier Namen zu diesem erlauchten Kreis: Latour, Margaux, Haut-Brion und Lafite-Rothschild. Philippe de Rothschild startete eine Qualitätsoffensive. Er entschied, die Weinfässer nicht mehr vom Schloss in Pauillac zu Händlern in Bordeaux zu transportieren, wo sie in Flaschen abgefüllt wurden, sondern die Weine komplett auf dem Chateau reifen zu lassen und dort auch abzufüllen. Er gewann damit die Kontrolle über die Qualität des Endprodukts. Die Ernten in den 1930er Jahren waren zufriedenstellend, aber nur 1934 und 1937 entstanden große Jahrgänge. Die Weine waren konzentriert, aromatisch, komplex und tanninreich. Tester, die den 1934er in den letzten Jahren probierten, bescheinigen ihm auch nach Jahrzehnten noch Eleganz und Noten von Pflaume, Cranberry und Vanille. Zu den allerbesten Château-Mouton-Rothschild-Jahrgängen gehört 1934 aber nicht. Hier stechen die Jahre 1945 und 1947 hervor. Das Etikett des Jahrgangs ‘45 versah Rothschild mit einem V für Victory. Mit der Gestaltung der Etiketten beauftragte er fortan bekannte Künstler.

Strenger Frost im Frühjahr 1945 machte vielen Trauben den Garaus, so dass die Lese schmal ausfiel. Der Qualität schadete das nicht. Im Gegenteil: Für den Weinpapst Robert Parker ist der 1945er einer der „unsterblichen Weine des Jahrhunderts“. Sein Geruch explodiere im Glas, schwärmt der Kritiker, und zeige über 30 Minuten hinweg immer neue Noten: von Schwarzkirschen-Kompott, Kirsch- und Himberkuchen bis zu getrocknetem Lavendel und Rosenöl, gefolgt von „Wellen von Eukalyptus, Zigarrenkiste, Holzrauch, Weihrauch und dunkler Schokolade“. Parker vergibt 100/100 Punkten, „aber nur weil hier meine Skala endet“. Der 1947er, den Goldfinger Bond empfiehlt, steht ihm mit 98 Parker-Punkten nur wenig nach. Aufgrund mehrerer Verkostungen in den 1990er Jahren befand Parker: „Ich hatte nie anderes als außergewöhnliche, dekadente, wunderbar reiche, konzentrierte Flaschen des 1947 Mouton-Rotschild. Das exotische, pompöse Bouquet von Ingwer, Minze, Kaffee, Zedern und Klumpen von schwarzer Johannisbeere wird gefolgt von einem syrupartigen, zähflüssigen, dicken, fruchtigen Mouton, der berstet vor Frucht.“ Obwohl trinkbar, seitdem er ihn vor einem Jahrzehnt probiert habe, zeige er kein Anzeichen von Fruchtverlust (wie andere Médocs desselben Jahrgangs). „Es ist einer der exotischsten und opulentesten Mouton-Rothschilds, die ich je getrunken habe.“

Das Etikett des Mouton-Rothschild 1945 gestaltete der wenig bekannte Philippe Jullian. Berühmt wurde es durch das V für Victory, das den Sieg der Alliierten über Nazi-Deutschland feierte. An dem Label ist auch ablesbar, wie klein die Ernte des Jahres ausfiel. Das Etikett von 1955 kreierte kein Geringerer als Georges Braque. Foto: Mouton-Rothschild

Den 1955er Château Mouton-Rothschild aus dem Film Diamonds Are Forever (mit Künstlerlabel von Georges Braque) testete Robert Parker ebenfalls in den 1990er Jahren. Sein Befund: „Die Nase bot den explosiven Mouton-Geruch aus Minze, Leder, Cassis, schwarzen Oliven und Bleistift, es gab eine erstaunliche Konzentration, glänzende Fruchtextraktion und eine Menge Tannin im langen Abgang. Der Wein schmeckte erstaunlich jung und könnte leicht noch zwanzig bis dreißig Jahre überdauern. Verblüffend!“

Ein Spitzenjahrgang:
der Taittinger von 1945

Noch häufiger als zu Bordeaux greift James Bond zu Champagner. Der älteste, der in einem Bond-Roman verewigt ist, ist der Taittinger Brut Spécial Reserve, Blanc de Blancs Millésime Vintage 1943. Er entstand in der Zeit der deutschen Besatzung der Champagne, als die Hersteller unter der Aufsicht des Deutschen Otto Klaebisch standen. Der Sonderbeauftragte der Nazi-Besatzer für die Region, ein Schwiegersohn des Sektfabrikanten Otto Henkel, zwang die Produzenten dazu, 80 Millionen Flaschen zu Dumpingpreisen an Deutschland zu liefern. Nach dem Krieg fasste Klaebisch schnell wieder Fuß. In einem Spiegel-Artikel wurde er als Vorsitzender des Verbands deutscher Sektkellereien erwähnt. Die Champagnerhersteller versuchten im Krieg alles, um herausragende Jahrgänge mit falschen Etiketten in Sicherheit zu bringen. Ob das auch bei dem außergewöhnlichen Jahrgang 1943 gelang, ist nicht bekannt. Aufgrund der mehrjährigen Lagerzeit dürfte Taittingers Blanc de Blancs Millésime erst Ende der 1940er Jahre auf den Markt gekommen sein.

Dass der Jahrgang 1943 tolle Champagner hervorbrachte, Bond also eine gute Wahl traf, lässt sich auch an einem anderen Indiz ablesen. Zur Krönung Elizabeth II. von England 1953 wurde im Buckingham Palast 43er Dom Perignon kredenzt.

Aber auch der Taittinger-Jahrgang von 1945, der Champagner, nach dem Bond den Kellner fragt (siehe erster Absatz), war ein großer, wenn auch mit kleiner Ernte, da ein Frosteinbruch am 29. April viele Trauben erfrieren ließ. In diesem Jahr übernahm François Taittinger die Führung des Hauses. Er führte mit Comtes de Champagne eine neue Prestige-Cuvée ein, benannt nach dem Familiensitz der Herzöge der Champagne, den die Taittinger-Familie nach dem Ersten Weltkrieg erworben hatte. Der Comtes de Champagne Blanc de Blancs ist ein nur in Spitzenjahren produzierter reinrassiger Chardonnay von Grand-Cru-Trauben der prestigeträchtigen Côte des Blancs. Laut der australischen Champagner-Koryphäe Jayne Powell, bekannt als Champagne-Jayne, schmeckt die Cuvée „mineralisch, üppig, saftig mit Vanille- und Mandelnoten und mit cremiger Frucht“. Generell, rät Powell, solle ein Comtes de Champagne nicht vor seinem zehnten Geburtstag geöffnet werden. Der erste Jahrgang, 1952, kam denn auch überhaupt erst 1957 auf den Markt.

Im Film From Russia With Love (1963) versucht Bond vergebens, eine Flasche Taittinger Comtes de Champagne, mit einer Schnur an seinem großen Zeh befestigt, in einem Fluss zu kühlen. In einer späteren Szene trinkt der Agent im Orient Express mit Tatiana Romanova wieder eine Flasche Comtes de Champagne, während der gegenüber sitzende Donald Grant zur Seezunge einen Chianti bestellt. Grant entpuppt sich als Killer, was Bond später spöttisch so kommentiert: Er habe schon an der Weinauswahl Grants gemerkt, dass mit diesem Mann etwas nicht stimme.

Roger Moore, Tanya Roberts und Bollinger-Champagner im Bond-Film A View To a Kill. Foto: Danjaq LLC/Bollinger

Sinnliche Perlen
eines Mönchs

Im Lauf der Jahre wird zunächst Dom Pérignon zu Bonds Lieblingschampagner. Der Champagner ist nach einem Benediktinermönch aus der Zeit des Sonnenkönigs Ludwig XIV. benannt, der sich mit Gesetzmäßigkeiten der Weinherstellung befasste. Er gilt als Vater des perlenden Getränks. Zur Marke wurde Dom Pérignon aber erst 1936. Die Geschichte: Der englische Importeur von Moët Chandon, Simon Bros and Co, feierte seinen 100. Geburtstag und wollte seine Kunden mit 300 besonderen Flasche erfreuen, die ein schildförmiges Etikett mit der Aufschrift Champagne especially shipped from Simon Bros and Co’s Centenary 1835–1935 trugen. Die Qualität der Luxus-Cuvée sprach sich schnell auch jenseits des großen Teichs herum, so dass 1936 weitere 100 Kisten nach New York verschifft wurden. Da das alte Label dort keinen Sinn ergeben hätte, erinnerte man sich des vergessenen Mönchs. Der feine Jahrgang 1921 bekam den Namen Dom Pérignon. Der Korken war altmodisch mit Wachs und Kordel umschlossen. Typisch für Dom Pérignon, der je zur Hälfte aus Chardonnay und Pinot Noir besteht und mindestens sechs Jahre in der Flasche reift, sind für Champagnerkennerin Jayne Powell seine „exquisite Balance, Eleganz und Cremigkeit, sehr feine winzige Bläschen und sein komplexes Aroma“.

In England, der Heimatland des Mi6-Agenten, galt Dom Pérignon als der Elite-Champagner schlechthin. In den Bond-Romanen und -Filmen werden die Jahrgänge 1946, 1953 und 1955 und 1959 erwähnt. Dabei unterlief Bond-Autor Ian Fleming offenbar ein Fehler. Ein  Jahrgang 1946 wurde gar nicht produziert. Anders sieht es mit den Jahrgängen 1953 und 1955 aus. Powell, von der Champagne gekürte Dame Chevalier de l’Ordre des Coteaux, hat beide Jahrgänge verkostet. Sie schrieb nach einem Tasting 2009: „1953 war ein großzügiger Jahrgang, vom Start weg sehr ausdrucksstark, reich und voll, sanft und üppig, enthüllt dieser Wein Noten von Butter, Honig und getrockneten Aprikosen. Wenn der Wein atmet, sticht der Röstcharakter hervor und entwickelt sich am Ende in Richtung Jod und Austernschale.“ Der 1955er, ebenfalls 2009 verkostet, ist für sie der Archetyp eines harmonischen Jahrgangs: „ … vielleicht der größte des Jahrzehnts. Sehr energisch und rassig, bemerkenswert vollkommen, ist dieser Wein intensiv und tief zugleich … Im Zentrum ist die Frucht (Sultana) lebendig mit Noten von Vanille, Rauch und Praline (kandierte Mandeln.)“

Im Film You Only Live Twice wird der 1959er Dom Pérignon erwähnt. Spectre-Agentin Helga Brandt (Karin Dor) bietet Bond ebenjenen Jahrgang mit dem Satz an: „Ich kann mir kaum vorstellen, dass Sie den ablehnen.“ Bond antwortet: „Sie schätzen mich richtig ein.“

Bollinger:
seit Queen Victoria
im Dienste
Ihrer Majestät

Doch auch ein anderer Champagner war seit langem in Englands Oberschicht beliebt. Königin Victoria verlieh 1884 Jacques Joseph Bollinger das Siegel des königlichen Hoflieferanten. So war es nicht weit hergeholt, dass 007 im Roman Diamonds are Forever eine Piccoloflasche Bollinger trank, die ihm Tiffany Case mit vier Stück Roastbeef auf Toast und einer kleinen Schale Sauce béarnaise in seine Schiffskabine schickt. Im Filmabenteuer Live and Let Die bestellte Bond 1973 – durch eine Abhörwanze hindurch – eine große Flasche Bollinger. In The Spy Who Loved Me trank er bereits Bollinger, freut sich aber am Schluss des Films auch über einen Dom Pérignon, den der Bösewicht Stromberg in seiner schwimmenden Rettungskapsel aufbewahrt hat und den Bond sich mit der russischen Spionin Anya Amasova teilt. Bond kommentiert süffisant: „Vielleicht habe ich Stromberg falsch eingeschätzt. Ein Mann, der Dom Perignon ‘52 trinkt, kann nicht nur böse sein.“

In Moonraker trank James Bond erstmals Bollinger-Champagner. Bei einem Fest 1978 servierte Arnault d‘Hautefeuille aus der Bollinger-Familie (l.)  dem Bond-Produzenten Albert R. Broccoli (Mitte) und Corinne Cléry (Darstellerin in Moonraker) den hauseigenen Tropfen. Foto: Bollinger

1979 vereinbarten Bollinger-Chef Christian Bizot und Bond-Produzent Albert „Cubby“ Broccoli, dass aus den zarten Anfängen eine Partnerschaft werden solle. Den Einstand gab Bollinger in Moonraker mit Roger Moore. Er trank die Cuvée R.D. Bollinger, von Robert Parker mit 92 bis 95 Punkten bewertet. Pierce Brosnan bekam ein Upgrade auf die Jahrgangscuvée Grande Année, eine Mischung aus 70 % Pinot Noir und 30 % Chardonnay mit reichen, komplexen Aromen und einer Menge reifer Frucht. Der Weinkritiker Antonio Galloni testete den Jahrgang 1999 aus dem Film Quantum of Solace für Robert Parkers Wine Advocate. Er lobte dessen Eleganz und entdeckte „hübsche exotische Noten von Aprikosen und Pfirsichen“. 2019 empfahl William Kelley für den Wine Spectator einen R.D. 1973 zum Kauf und gab ihm 97 Punkte. Die Partnerschaft währt bis heute: Niemandem außer Krone und Mi6 hat Bond so lange die Treue gehalten wie der nach wie vor unabhängigen Champagner-Marke aus dem prominenten Dörfchen Aÿ bei Epernay.

Bond liebt
Weine aus Frankreichs
Südwesten

Man merkt: Bond lernte seit dem Dinner mit Vesper Lynd 1953 schnell dazu. Beim Champagner kann man sich stets auf seinen guten Geschmack verlassen. Und auch beim Rotwein traf er fast immer die richtige Wahl, auch wenn er eine entschiedene Vorliebe für Rotweine aus Frankreichs Südwesten verrät, einer Region, die im Mittelalter der englischen Krone unterstand.

Leider scheint der aktuelle James Bond (Daniel Craig) es nicht wichtig zu finden, ein Connaisseur zu sein. Die Drehbuchschreiber schienen zu meinen, dass elitäres Wein- oder Kunstwissen, wie es für Roger Moore charakteristisch war, zu der neuen Figur nicht passt. Das führte dann dazu, dass Daniel Craig sich einmal nicht im Wein, aber im Jahrgang vergriff, nämlich als er im Film Casino Royale (2006) mit Vesper Lynd (Eva Green) im Zugrestaurant einen 1982er Château Angélus trinkt.

Keine Frage: Château Angelus, im Anbaugebiet Saint-Émilion gelegen, ist ein herausragendes Weingut. Es gilt heute als eines der vier, fünf besten westlich der Gironde, was sich darin ausdrückt, dass die Appellation 2012 von der staatlichen französischen Kontrollbehörde in den Rang eines Premier Grand Cru Classé A erhoben wurde. Seit acht Generationen ist Château Angelus im Besitz der Familie Boüard de Laforest. So richtig an die Spitze kehrte es aber erst unter dem Önologen Hubert de Boüard de Laforest zurück, der 1985 die Leitung übernahm. Der Qualitätsschub spiegelte sich in immer besseren Bewertungen.

Léa Seydoux (in der Rolle der Madeleine Swann) in einer Szene im Bond-Film Spectre. Links auf dem Tisch, fast unbemerkt, eine Flasche Château Angélus. Foto: Tanja LLC/Château Angélus

Der 1982er-Jahrgang fällt in die Zeit davor und war eher schwach, klagt Weinguru Robert Parker. 1982 sei die Auslese der Trauben noch weniger streng gewesen, befand er. Der 1982er sei in seiner Jugend weich und reif gewesen, habe sich dann aber rapide verschlechtert, meint der Kritikerpapst, der den Jahrgang fünfmal verkostete und jedes Mal zu einem ähnlichen Ergebnis kam. 1995 war sein Eindruck, dass der Wein zwar immer noch eine erstklassige Frucht habe, ansonsten aber „diffus und schlaff“ sei. Parker nahm eine „alte, pilzige, erdige Note“ wahr. Er empfahl, ihn schnell zu trinken, und gab ihm 77 Punkte. Zum Glück steigerte das Spitzenweingut danach seine Qualität erheblich. Um Klassen besser fielen die Château-Angélus-Weine seit Mitte der 1980er Jahre aus, speziell 1988, 1990, 1993 und 1994 waren eine Werbung für das ambitionierte Weingut. Seit 2015 erhält Château Angélus durchweg Spitzenbewertungen.

007 hätte also durchaus einen Château Angelus bestellen können, aber 2006 waren garantiert bessere Jahrgänge verfügbar als der 82er. Falls Bond-Fans den Wein probieren möchten: Zum heutigen Zeitpunkt trinkreif sind für Parker die Jahrgänge 1998, 2001, 2003, 2008, 2011 und 2013. Eine Flasche des 2013er kostet 300 bis 400 Euro. Das Ausnahmejahr 2016 ist für 400 bis 500 Euro erhältlich. Er ist jetzt schon trinkreif, wird aber in den nächsten Jahren zulegen.

Für Weinliebhaber bleibt zu hoffen, dass Craigs Nachfolger wieder mehr Connaisseur(in) sein darf. Es wäre im Sinne des Erfinders Ian Fleming, der ja James Bond bewusst als Draufgänger und Genießer zugleich angelegt und damit auch sein Ebenbild erschaffen hat. Dass Fleming durch und durch Genießer war, lässt sich an dem Brief erkennen, mit dem er sich 1963 bei Claude Taittinger für die Zusendung von Champagner bedankte. Fleming bedauert, dass James Bond in Japan unterwegs sei und der arme Kerl dort wohl nichts anderes zu trinken bekomme als Sake. Wenn Bond zurückkehre, werde er wohl nur noch leere Flaschen vorfinden – ausgetrunken von seinem Autor.

© Holger Christmann

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