Uhren

Das Staunen über die Wand der Teile

Schon immer gab es am wichtigsten Finanzplatz Deutschlands viele Liebhaber der Uhren von A. Lange & Söhne. Jetzt eröffnet die angesehene Glashütter Manufaktur in Frankfurt am Main ihre dritte Boutique in Deutschland. Zu den Attraktionen des Flagship Stores gehört eine Wall of Parts mit den 684 Einzelteilen einer Uhr.

VON HOLGER CHRISTMANN
7. Mai 2022
Die neue Boutique von A. Lange & Söhne in Frankfurt am Main. Durch den geschickten Einsatz von Farben und Materialien erzeugten die Architekten Abwechslung und Tiefe. Foto: ALS

Wer künftig auf der eleganten Frankfurter Goethestraße spaziert, wird an der Hausnummer 2 innehalten und interessiert die Videos betrachten, die auf einer LED-Wand hinter dem Schaufenster ablaufen. Die Sequenzen zeigen in rascher Folge hochkonzentriert arbeitende Uhrmacher und kostbare Zeitmesser. Die vornehme Adresse beherbergt ab sofort die erste Frankfurter Boutique der Uhrenmanufaktur A. Lange & Söhne aus Glashütte. Ihr Name steht in Deutschland und der Welt für hochpräzise, handwerklich gestaltete Uhren. Bislang schon waren sie bei ausgewählten Juwelieren in Frankfurt erhältlich. Doch nirgendwo ist die Auswahl so groß wie im markeneigenen Flagship Store. Hier taucht der Kunde tief in die Welt der Marke ein.

Das beginnt schon, wenn man die Boutique betritt und den Kopf weit in den Nacken legen muss, um die mehrere Meter hohe Wall of Parts zu erfassen. Die Wand aus 684 nummerierten und beleuchteten Kästchen macht den Besucher vertraut mit den ebenso vielen Teilen des hochkomplexen Manufakturwerks Kaliber L133.1. Der Laie lernt Namen wie Sternradwippe, Federhaustrommel, Wechselradbrücke und Gangreserverad. 3D-Grafiken bilden die Teile vergrößert ab, die in der Realität nur mit einer Lupe gut zu erkennen sind. Das an der Wall of Parts inszenierte Uhrwerk treibt eine der aufwändigsten Zeitmesser von A. Lange & Söhne an: den Tourbograph Perpetual Pour Le Mérite. 2017 lancierte A. Lange & Söhne die in Platin und in der Lange-eigenen Legierung Honey Gold erhältliche und auf je fünfzig Stück limitierte Armbanduhr, die einen Kette-Schnecke-Antrieb mit Tourbillon, Chronograph, Rattrapante und Ewigem Kalender verbindet. 500 000 Euro kostet das Wunderwerk der Feinmechanik.

Schon von draußen macht die Boutique neugierig auf die uhrmacherischen Spitzenleistungen von A. Lange & Söhne. Dazu trägt der LED-Screen bei, der rund um die Uhr bespielt wird. Foto: ALS

Eine Treppe aus Eichenholz-Parkett führt hinauf ins Obergeschoss und durchquert dabei das Mezzanin-Zwischengeschoss, dass die hauseigenen Architekten geschickt um einen Kubus erweiterten, der Büros der Boutique beherbergt. Oben angekommen, erwartet den Kunden eine gemütliche Lounge mit Ledercouches. Als Referenz an die Frankfurter Äppelwoi-Kneipen gibt es Nischen mit lokaltypischer Eckbank. Sie vermitteln Gemütlichkeit in der kontrastreichen, modernen Eleganz aus glatten Steinfliesen in Betonoptik, Eichenparkett und lackierten Mettalllamellen.

Stephanie Schulze (l.), Brand Managerin Deutschland, Boutique-Manager Hersi Mohamed und Marketingdirektorin Barbara Hans (r.) eröffneten die Boutique von A. Lange & Söhne in der Frankfurter Goethestraße. Foto: ALS

An der Wand erzählen Illustrationen die Geschichte von A. Lange & Söhne. 1815 wurde Ferdinand Adolph Lange in Dresden geboren. 1830 begann der technisch und sprachlich begabte junge Mann eine Lehre beim Dresdner Hofuhrmacher Gutkaes. Seine Gesellenzeit führte ihn nach Paris, damals ein Zentrum der Präzisionsuhrmacherei. Im Atelier von Joseph Thaddäus Winnerl, einem Schüler von Abraham Louis Breguet, vertiefte er seine technischen Fähigkeiten. In der Schweiz lernte er das Prinzip der Arbeitsteilung kennen. 1841 entwickelte Lange mit seinem Lehrer Gutkaes die Fünf-Minuten-Uhr der Semperoper, die Vorbild für das digitale Großdatum wurde – einem Markenzeichen von Lange-&-Söhne-Uhren. Am 7. Dezember 1845 nahmen Langes eigene Werkstätten in Glashütte ihre Arbeit auf. 

Die Wall of Parts stellt die 684 Teile vor, die im Uhrwerk L133.1 des Tourbograph Perpetual Le Mérite verbaut sind. Foto: ALS
Lackierte Metalllamellen sorgen für Raumtiefe, Eckbänke sollen an Frankfurter Äppelwoi-Kneipen erinnern. Foto: ALS

Das Motto der Luxusmarke lautet heute Never Stand Still. „Doch 1948 blieb die Zeit für die Marke stehen. Sie wurde enteignet, die Produktion wurde eingestellt“, sagt Boutique-Leiter Hersi Mohamed, und er senkt seine Stimme, als würde ihm beim Gedanken an die Zäsur noch nachträglich das Herz bluten. Der Urenkel des Gründers, Walter Lange, musste seinerzeit in den Westen flüchten. 

„Die Schweizer bauen
die besten Uhren,
die Sachsen auch“

„Nach der Wende war es ein Glück, dass Walter Lange das Skizzenbuch des Urgroßvaters aufbewahrt hatte“, sagt Mohamed. Es war für die Neugründung der Marke eine wertvolle Inspirationsquelle. Am 7. Dezember 1990 – auf den Tag genau 145 Jahre nach der Gründung der ersten Manufaktur – wurde die Marke A. Lange & Söhne erneut eingetragen. Vier Jahre später präsentierten Walter Lange, der legendäre Uhrenmanager Günter Blümlein und Hartmut Knothe die erste Kollektion. Sie bestand aus den Modellen Lange 1, Arkade, Saxonia und Tourbillon Pour Le Mérite. Die Startkollektion wurde ein Sensationserfolg. Alle angekündigten Stückzahlen waren über Nacht ausverkauft. Günter Blümlein prägte den Satz: „Die feine Uhr, die Luxusuhr, die beste Uhr, kommt nicht mehr nur aus der Schweiz – sie kommt auch wieder aus Sachsen. Und wie wir in unserer Werbung mittlerweile selbstbewusst, aber höflich sagen: die Schweizer bauen die besten Uhren der Welt – die Sachsen auch!“

Aktuelle Neuheiten von A. Lange & Söhne: Die Richard Lange Minutenrepetion in Platin besticht durch ihren besonders guten Klang. Die Odysseus in Titan sowie die Große Lange 1 mit 41 Millimetern Durchmesser in Rot- und Weißgold sind bereits in der Frankfurter Boutique erhältlich. Foto: ALS

Die Uhren von A. Lange & Söhne begeistern Uhrenliebhaber überall auf der Welt. Unter den Kunden sind Unternehmer genauso wie junge, erfolgreiche Asiaten und Tycoons im Silicon Valley, die in der handwerklichen Perfektion der Feinmechanik einen willkommenen Kontrast zu ihrer virtuellen Welt sehen. 

Eigene Geschäfte betreibt das Unternehmen, das wie Cartier und IWC Teil des schweizerischen Richemont-Konzerns ist, in Tokio, Shanghai, Hongkong, Sydney, Dubai, New York und anderen Weltmetropolen. In Deutschland gab es bislang zwei Boutiquen, in München und am Dresdner Neumarkt. Mit der Frankfurter Flagship Store und einer weiteren Eröffnung in Berlin bekräftigt die Marke ihr Bekenntnis zum deutschen Markt. „Deutschland wird immer unser wichtigster Markt bleiben, weil es unser Heimatmarkt ist“, betont der CEO von A. Lange & Söhne, Wilhelm Schmid. 

Ein Gast inspizierte bei der Eröffnung des Flagship Stores von A. Lange & Söhne in Frankfurt den Datograph Auf/Ab-Flyback-Chronographen. Foto: ALS

Liebhaber von A.-Lange-&-Söhne-Uhren, von denen es in der Finanzmetropole nicht wenige gibt, dürfte es freuen, dass sie in der exklusiven Boutique eine größere Auswahl vorfinden als beim Konzessionär. Auch auf der Genfer Messe Watches and Wonders vorgestellte Neuheiten sind im Original ausgestellt. Eine von ihnen ist die sportlich-elegante Odysseus im federleichten Titan mit Zifferblatt in Eisblau und großer Wochentags- und Datumsanzeige. Eine weitere ist die neue Große Lange 1 mit 41 Millimetern Gehäusedurchmesser. Es gibt sie jetzt in 18 Karat Weiß- oder Rotgold und mit einer flachen Bauhöhe von nur 8,2 Millimetern. Die Lange 1 ist mit ihrem asymmetrischen Zifferblatt und dem Großdatum der Lange-Klassiker schlechthin. 

Es ist jedoch nicht gesagt, dass der Kunde eine der Neuheiten kaufen und direkt mitnehmen kann. „Lange-Uhren werden mit hohem handwerklichem Aufwand in kleinen Serien gefertigt, und insbesondere die Neuheiten sind stark nachgefragt“, erklärt Wilhelm Schmid in unserem Interview. „Daher kann ich nur um Entschuldigung bitten, wenn es am Anfang zu Wartezeiten kommt.“ Aber Warten erhöht auch die Vorfreude. Nicht umsonst trug eine Ausstellung bei A. Lange & Söhne schon einmal den passenden Titel: „The Art of Waiting“.

© Holger Christmann