Kunst & Wein

Yoko Ono ließ sich
mit Olivenöl bezahlen

In der Gemeinde Castellina in Chianti in der Toskana liegt ein Weingut, das einst Michelangelo Buonarroti gehörte. Seit vierzig Jahren ist es im Besitz des Frankfurter Galeristen Peter Femfert und seiner Frau Stefania Canali. Seit dem ersten Jahrgang gewann Femfert seine Künstler dafür, Etiketten und Einschlagpapier für den Wein zu gestalten. Den 40. Geburtstag dieser Kooperationen feierte die Familie jetzt mit einem Kunstpreis und einem Fest in der Toskana.

VON HOLGER CHRISTMANN
15. Januar 2023
Stefania Canali und Peter Femfert mit Sohn Léon (Mitte) auf ihrem Weingut, der Fattoria Nittardi.  Foto: Nittardi

Wenn Peter Femfert, Inhaber der Frankfurter Kunsthandlung Die Galerie, sich daran erinnert, wie er Anfang der 1980er Jahre in den Besitz des Weingut Nittardi kam, dann vergnügt es ihn noch heute, wie er seine Frau Stefania Canali mit dem Kauf überraschte. Die Venezianerin hatte in Florenz Geschichte studiert. Die Familie hatte mehrmals auf dem Anwesen von Nittardi Urlaub gemacht. Als seine Frau wissen wollte, ob sie es auch im nächsten Sommer wieder mieten würden, bejahte Femfert das. Und fügte hinzu: „Übrigens, ich habe es gekauft.“ Seine Frau „fiel aus allen Wolken“, sagt der Galerist. Sie hatte von einem Haus in der Toskana geträumt, aber nicht geahnt, dass ihr Wunsch so schnell in Erfüllung gehen würde. Erst im Nachhinein, sagt Peter Femfert, habe er erfahren, dass zu den zwei Gutshäusern hundert Hektar Land inklusive Weinbergen gehörten.

Die nächste Überraschung folgte, als der hauseigene Önologe in Archiven entdeckte, dass das Weingut einst Michelangelo Buonarroti gehörte, dem Künstlertitan der Hochrenaissance. Der gebürtige Toskaner war spätestens nach der Fertigstellung der Sixtinischen Kapelle und der Übernahme der Bauleitung von St. Peter ein sehr vermögender Mann – ein Multimillionär. 1549 erwarb er das Weingut von der Kirche. Mit der Verwaltung beauftragte er seinen Neffen Lionardo. In einem Brief, der erhalten ist, bat er den Neffen, ihm einige Damigiane (54-Liter-Ballonflaschen), nach Rom zu schicken, damit er sie dem Farnese-Papst Paul III. schenken könne (der noch im selben Jahr starb). 

Hundertwasser lernte
Femfert in der
Karibik kennen

Ein Galerist und Grafikverleger, der ein Weingut in der Toskana kauft und herausfindet, dass es Michelangelo gehörte – so klingen die Drehbücher für romantische Italienfilme im Stil von „Under The Tuscan Sun“. In solchen Filmen startet die Hauptfigur typischerweise an der Seite einer italienischen Flamme ein neues Leben zwischen Zypressen und Olivenbäumen. 

Doch zum einen war der Galerist ja bereits mit einer Italienerin liiert. Zum anderen war es ihm wichtig, in Deutschland sein Kunst-Business aufzubauen, für das er den lukrativen Job als Geschäftsführer Marketing und Vertrieb der Autovermietung Avis an den Nagel gehängt hatte. Reichlich Erzählstoff bietet das Leben des Galeristen auch sonst. 1967 überlebte er mit drei Passagieren den Absturz einer Maschine der Schweizer Fluggesellschaft Globe Air in Nicosia, bei dem 126 Menschen ums Leben kamen. Er liebte auch weiter das abenteuerliche, weltläufige Leben. Beim Segeln in der Karibik lernte er Friedensreich Hundertwasser kennen. Dessen rot-weiß beflaggtes Holzschiff Regentag ankerte im Hafen von Grenada neben  seinem. Hundertwasser lud ihn an Bord zum Tee ein. Femfert hatte den ersten Schritt in die Kunstwelt getan.

Die Fattoria Nittardi liegt im Anbaugebiet des Chianti Classico zwischen Florenz und Siena. Foto: Nittardi

Mit dem fast gleichzeitigen Einstieg ins Grafik- und Weingeschäft bewies Femfert Anfang der 1980er Jahre gleich zweimal ein glückliches Händchen. In der Gesellschaft wuchs das Interesse an Kunst, was sich etwa in der Gründung des Kunstmagazins art durch Wolf Uecker widerspiegelte, das auf Anhieb 50 000 Exemplare im Monat verkaufte. Für Kunstliebhaber des gehobenen Bürgertums bedeuteten Grafiken den Einstieg in die Welt der großen Künstler. Peter Femfert sicherte sich die Namen der Stunde: Bruno Bruni, Friedensreich Hundertwasser und Paul Wunderlich.

„Frag ich doch mal die Künstler, ob sie mir
ein Etikett machen“

In Italien erlebte zeitgleich der Wein eine Qualitätsrevolution. Günstiger Chianti aus Korbflaschen wurde im Handel mehr und mehr abgelöst von Weinen, die dem Schwarzen Hahn, dem historischen Symbol des Chianti Classico, Ehre machten. Die Familie Femfert-Canali investierte von Anfang an in die Qualität ihrer Weine. Und tat damit genau das Richtige. Schließlich fand Femfert einen Weg, Kunst und Wein zu verbinden. Die Inspiration lieferte das Weingut Mouton-Rothschild, das seit 1945 große Künstler mit der Kreation von Etiketten beauftragte. Als Femfert den ersten Jahrgang unter seiner Ägide – 15 000 Flaschen – abgefüllt hatte, fragte er sich, wie er den erfolgreich verkaufen könne. Er dachte sich: „Frag ich doch mal die Künstler, ob sie mir ein Etikett machen“.

Für den ersten Jahrgang des Chianti Classico Casanuova di Nittardi (1981) sagte Bruno Bruni spontan zu. Der italienische Zeichner und Bildhauer hatte die Idee, zusätzlich das Einschlagpapier zu gestalten. Als Motive für Etikett und Schutzpapier des ersten Jahrgangs wählte Bruni das toskanische Symbol schlechthin, die Zypresse. Das Einschlagpapier war eine Original-Farblithographie, die der Meister in der renommierten Kunstdruckerei Matthieu in Dielsdorf bei Zürich direkt vom Lithostein aus Solnhofer Schiefer abzog. Später, als die Produktionsmengen stiegen, wurden das Seidenpapier im Offsetverfahren gedruckt.

Kunstsammlung im Weinregal: Seit 40 Jahren gestalten Künstler die Etiketten des Chianti Classico Casanuova di Nittardi. Foto: Rui Camilo

Die nächsten Etiketten kreierten Maurilio Minuzzi (1982), Karl Korab (1983), Simon Dietrich (1984) und Miguel Berrocal (1985). Dann war der Österreicher Alfred Hrdlicka an der Reihe. Der machte seinem Ruf als Provokateur alle Ehre. Er entwarf für den Jahrgang 1986 des Casanuova di Nittardi einen Aufkleber, dessen Motiv kopulierende Männer und Frauen darstellte. Peter Femfert brachte ihm schonend bei, dass der Wein in 30 Länder exportiert werde, die Etiketten daher möglichst nicht zu derb-frivol sein sollten. Hridlicka zeigte sich einsichtig und zeichnete in einem Baseler Restaurant mit Farbstiften ein neues Bild. Für den ersten Entwurf fand Peter Femfert bei sich zuhause einen Platz.

Mit Bruno Brunis Zypressen fing alles an: Dieses Poster feiert die Künstlerkooperationen der Fattoria Nittardi, die Peter Femfert Anfang der 1980er Jahre initiierte. Foto: Nittardi

Dass Wein sich auf Wollust reimt, daran erinnern jedoch schon die antiken Bacchanale. Und so ließ sich auch der Zeichner Tomi Ungerer zu nackten Tatsachen inspirieren. Beim Abendessen im Restaurant Chez Philippe im elsässischen Blaesheim brachte er für die Verpackung seine poetische Sternsäerin zu Papier, eine nackte Blondine, bekleidet nur mit Strapsen, aus deren Weinbottich Sterne fallen. Für das Etikett zeichnete er einen Satyr, der zwischen weiblichen Gesäßen sitzt und Panflöte spielt. Eine andere Flasche dekorierte Bruno Bruni für einen Weißwein mit einer Venus nach Art Botticellis. Femfert Vorsicht in punkto expliziter Erotik war berechtigt. Die Weinkisten steckten wochenlang im amerikanischen Zoll fest. Am Ende genehmigten die Behörden den Verkauf des Weins an Privatpersonen. In den Handel kam der Jahrgang nicht. 

Der jüngste Künstler
ist zwölf

Nicht alle Künstler, die Kunst für Nittardi schufen, gehörten zum Aufgebot der Galerie. So Yoko Ono. Eine Bekannte stellt den Kontakt her. Die Künstlerin und Witwe des Beatles-Stars John Lennon, gestaltete den Casanuova di Nittardi von 2005. Gewöhnlich bezahlt Femfert die Künstler in Wein. Nur Yoko One wollte keinen Wein. Sie bekommt nach wie vor jedes Jahr Olivenöl geschickt. „Manchmal ruft ihr Koch an und klagt, das Olivenöl sei schon aus.“ Dann macht die Fattoria umgehend eine Lieferung für die illustre New Yorker Kundin fertig.

Zu den Highlights unter den Künstlerkooperationen zählt Femfert die Zusammenarbeit mit dem italienischen Dramatiker, Regisseur, Künstler und Literaturnobelpreisträger Dario Fo, der das Etikett für den Jahrgang 2010 schuf. Karl Otto Götz war 100 Jahre alt, als er sein Etikett für den Jahrgang 2012 schuf. Der Venezianer Fabrizio Plessi, den wohl auch dank seiner Herkunft seit jeher das Element Wasser fasziniert, schuf mit L’oro di Venezia ein besonderes spektakuläres Label. Es wurde in Heißfolienprägung gedruckt, damit das Gold des Wassers besonders echt wirkt.

Stefania Canali und ihr Sohn, der Schriftsteller und Drehbuchautor Damiano Femfert, mit dem Literaturnobelpreisträger und Künstler Dario Fo (Mitte). Foto: Nittardi

40 Jahre gibt es die Künstleretiketten von Nittardi. Um den runden Geburtstag zu feiern, schrieb die Fattoria einen internationalen Wettbewerb aus, den Premio Nittardi. Eine international besetzte Jury aus Künstlern und Kunstsammlern wählte sechs Künstler aus, die die Etiketten und Seidenpapiere für besondere Kisten mit sechs Flaschen Chianti Classico Vigna Doghessa 2020 kreierten. Als Sieger gingen Chiara Mazzotti, Fausto Maria Franchi, Wang Peng, Ulrike Seyboth, Olle Borg und der erst zwölfjährige Andreas Floudas-Zygouras, künstlerisch begabter Sohn eines Weinhändlers aus Athen, aus dem Wettbewerb hervor.

Drei der Preisträger des Premio Nittardi (v.l.) Fausto Maria Franchi, Wang Peng und Andreas Floudas-Zygouras schufen Etiketten für den Jubiläumsjahrgang Casanuova di Nittardi La Doghessa. Foto: Nittardi

Gefeiert wurde im Palazzo Coveri in Florenz, wo neben den Weinen auch die gerahmten Bilder aller Jahrgänge ausgestellt waren. Am Abend zuvor lud die Familie Femfert-Canali zum Dinner auf ihr Weingut. Es liegt genau an der Grenze der Provinzen Siena und Florenz, noch auf sienesischer Seite. Die Wände des Speisesaals sind mit Kunstwerken, Memorabilien und Briefen dekoriert. 2005 sandte der am Silvestertag 2022 verstorbene Papst Benedikt XVI. eine handschriftlich verfasste Weihnachtsbotschaft. 2006 bedankte sich Monsignore Georg Gänswein, Privatsekretär von Papst Benedikt XVI., für die Weihnachtsgrüße der Fattoria Nittardi. Auch die Gründungsurkunde des Weinguts aus dem Jahr 1183 ist in Kopie ausgestellt.

Göttlicher Nektar für
Papst Benedikt XVI.

Um den Wein kümmerte sich lange Stefania Canali. Seit 2013 leitet der älteste Sohn, Léon Femfert, die Weinproduktion. Beim Rundgang über die Domäne erklärt er, woher der Name Nittardi kommt: vom ursprünglichen Namen Villa Nectar Dei (Nektar Gottes). Einen gleichnamigen Wein produziert Nittardi immer noch, allerdings nicht hier, sondern weiter südlich in der Maremma, deren Terroir und Nähe zum Meer Weine hervorbringt, die ganz anders sind als jene aus dem toskanischen Binnenland. Hier reifen die Rebsorten aus dem Bordeaux. Der Nectar Dei besteht zu 50 Prozent aus Cabernet Sauvignon und zu geringeren Anteilen aus Petit Verdot, Merlot und Syrah. Diese Trauben bringen einen tiefroten, komplexen Wein mit vollem und anhaltendem Abgang hervor. Die ersten Flaschen des Weins bekam Papst Benedikt XVI. zugesandt, ganz so wie es auch Michelangelo getan hätte.

Der Speisesaal der Fattoria: Memorabilien – darunter ein Weihnachtsgruß von Papst Benedikt XVI. – schmücken die Wände. Foto: Nittardi

Beim Chianti Classico setzt die Fattoria Nittardi ganz auf Sangiovese, die dominierende Rebsorte der Toskana. Sie reift langsam und eignet sich perfekt für ein trockenes, warmes Klima. Die Weinberge von Nittardi liegen auf 400 bis 500 Metern Höhe. Kombiniert mit der Südlage der meisten Hänge, sind die Tage warm bis heiß, die Nächte hingegen kühl. Diese Tag-Nacht-Temperaturschwankungen geben dem Wein einen  moderaten Alkoholgehalt und verleihen ihm Eleganz. Der Casanuova di Nittardi Chianti Classico ist ein reiner Sangiovese, der an einem einzigen, von Schieferböden geprägten Weinberg Vigna Doghessa angebaut wird und dadurch an Frische und Mineralität gewinnt. Daneben produziert Nittardi in der näheren Umgebung den Belcanto, der jedoch kein reinrassiger Sangiovese ist. Sein Etikett zeigt ein Porträt von Michelangelo.

Lange legte Peter Femfert Wert darauf, Galeriegeschäft und Weingut voneinander zu trennen. Viele Kunden seiner Galerie, die bis nach Singapur, Seoul und Hongkong reichen, wissen gar nicht, dass der Galerist nebenbei Winzer ist. Das soll sich nun ändern. Ab 4. März ist das Weingut in Die Galerie in Frankfurt eingeladen. Dort werden – wie in Florenz – bis zum 22. März 2023 alle 90 Originale der 40 Jahre Kunst und Wein ausgestellt. 

Kunstwerke finden sich überall auf dem Weingut in der Gemeinde Castellina in Chianti. Foto: Nittardi

Dass sich Galerie und Weingut so gut entwickelten, erklärt Peter Femfert damit, dass er mit seiner Frau Stefania Canali und dem Sohn Leon ein tolles Team habe. Doch es gibt noch einen zweiten Sohn, Damiano Femfert. Er lebt in Rom und arbeitet als Schriftsteller. Sein erster Roman, Rivenports Freund, gehörte 2020 zu den meistbeachteten Büchern im deutschen Sprachraum. Daneben verfasst er Drehbücher – beste Voraussetzungen also, damit aus der Geschichte der Galeristenfamilie und des Weinguts von Michelangelo doch noch irgendwann ein Film wird. 

© Holger Christmann