Wein

Die Klonjuwelen des Napa Valley

In den 1990er Jahren entdeckte der Kunst- und Antiquitätenhändler Fred Schrader im kalifornischen Napa Valley seine Leidenschaft für Wein. Er nahm sich vor, den besten Cabernet Sauvignon Kaliforniens zu produzieren. Mehr als dreißig Hundert-Punkte-Bewertungen geben ihm recht. Eine Begegnung mit Jason Smith, dem Geschäftsführer von Schrader Cellars.

VON HOLGER CHRISTMANN
29. März 2024
Jason Smith, Sommelier und Geschäftsführer von Schrader Cellars. Foto: Schrader Cellars

In der Hanse-Lounge, einem Mitgliederclub an Hamburgs Neuem Wall, wird Weinkultur und Kochkunst großgeschrieben. Hier trifft sich üblicherweise die feine Hamburger Gesellschaft. Im Beirat sitzt das Who is Who der Hansestadt, von Kim-Eva Wempe über Kaffee-Magnat Albert Darboven bis zum Architekten Hadi Teherani. An einem Mittag Ende Februar bittet in dem gediegen-modernen Ambiente mit Blick auf Binnenalster und Rathausmarkt ein Gast aus Las Vegas zu Tisch. Sommelier Jason Smith hat eine handverlesene Runde von Journalisten eingeladen, bei einem leichten Mittagessen die Weine von Schrader Cellars zu verkosten. Smith ist seit 2021 Geschäftsführer des kalifornischen Weinguts. Er ist nach Deutschland gekommen, um die renommierten Weine aus dem Napa Valley Medienvertretern, Restaurateuren und Sommeliers vorzustellen.

Bekannt geworden ist der gebürtige New Yorker als Direktor für Weine der MGM Resorts und des glamourösen Bellagio Resort & Casino in Las Vegas. Das von Fontänen umspielte Bellagio war auch durch seinen Gründer bekannt, den Kunstsammler Steve Wynn. Als der 2006 sein Picasso-Gemälde „Le Rêve“ für 139 Millionen Dollar verkaufte wollte, stieß er versehentlich mit dem Ellbogen gegen das Bild und beschädigte es. Der Käufer Steve Cohen sprang ab. Doch das war lange vor Smith, der nach wie vor mit seiner Familie in Las Vegas lebt. Jetzt führt ihn der Weg mehrmals im Monat aus der Wüste Nevadas in die blühende Vegetation Nordkaliforniens. Wenn jemand, der täglich mit den besten Weinen der Welt zu tun hatte, seinen Fokus auf einen Hersteller legt, dann muss es sich um einen ganz besonderen Wein handeln. Hier kommt die Geschichte von Fred Schrader ins Spiel.

Mit Ann Colgin fing alles an

Schrader, ein Kunst- und Antiquitätenhändler und Gentleman Driver mit Vorliebe für Aston Martin und Ford, verliebte sich in Ann Colgin, Leiterin der Abteilung Westküsten-Weine bei Sotheby’s Los Angeles. Nachdem das Paar 1988 eine Weinauktion im Napa Valley besucht hatte, beschloss es, in einen eigenen Wein zu investieren. Allerdings war kein Weingut verfügbar, das sie kaufen konnten oder wollten, und so bezog das Paar für seinen ersten Wein die Trauben von dem Weingut Herb Lamb in der Appellation St. Helena. Das Ergebnis war ein Erfolg, die Ehe am Ende weniger. 1997 ließen sich Schrader und Colgin scheiden, und Fred beschloss, im Napa Valley seine eigene Weinproduktion aufzuziehen. Er nahm sich nichts Geringeres vor, als den besten Cabernet Sauvignon Kaliforniens hervorzubringen. Für deutsche Ohren mag solcher Ehrgeiz leicht großspurig klingen, doch Amerikaner denken bekanntlich groß. Jason Smith verwendet ein positiv besetztes, wohl so nur im Englischen existierendes Wort für Fred Schraders Ambitionen: „bold“ – kühn, mutig.

Fred Schrader gelang das schier Unmögliche: innerhalb weniger Jahre einen herausragenden Cabernet Sauvignon zu produzieren. Foto: Schrader Cellars

Jedenfalls versprach Fred Schrader seinen Kunden nicht zu viel. Seine reinsortigen Cabernet Sauvignons zählen heute nicht nur zu den besten Kaliforniens, sondern spielen auch international in der Liga der Ultra-Luxury-Weine mit. So wie Ann Colgin erwarb auch er kein Weingut, sondern tat sich mit einem starken Partner zusammen. Dieser Partner hießt Andy Beckstoffer und ist der Pionier des Luxus-Weinsegments in Kalifornien. Beckstoffer war die perfekte Ergänzung zu Schrader. Während der eine erstklassigen Wein erzeugen wollte, hatte der andere sich ganz auf den Anbau von Weinreben spezialisiert. Mit dieser Spezialisierung verdiente Beckstoffer viel Geld, nachdem er als Gründungsdirektor der Winzervereinigung von Napa Valley eine historische Vereinbarung durchsetzt hatte, wonach der Preis, den Winzer für ihr Rebgut aufrufen können, vom Verkaufspreis des Endprodukts abhängt. Je hochwertiger und teurer der Wein, desto höher der Erlös für den Weinbauern. Diese Regulierung stellt für die Besitzer von Weinbergen wie für die Weinhersteller einen enormen Anreiz dar, hohe Qualität zu liefern. Beckstoffer erzielt fünfmal mehr für seine Trauben als der Durchschnitt der Winzer im Napa Valley. 

To Kalon gilt als Kronschatz von Napa Valley

Besonders begehrt sind die Reben von Beckstoffers Anteil am legendären Weinberg To Kalon (altgriechisch f. „von feiner Qualität“). To Kalon liegt in der Appellation Oakville zwischen den schützenden Gebirgszügen Vaca und Mayacamas. Ein gut durchlässiger Boden ermöglicht es den Reben, tief zu wurzeln und Feuchtigkeit und Nährstoffe aufzunehmen. Günstige Temperaturschwankungen und verlässliche Sonnen-, Wind- und Nebelbedingungen bieten beste Voraussetzungen für eine komplexe Geschmacksentwicklung. Die New York Times nannte die Reben von To Kalon die „Kronjuwelen“ der amerikanischen Weinwelt.

Während Cabernet Sauvignon in seiner Heimatregion, dem Bordelais, zumeist Teil einer Cuvée mit Merlot, Cabernet Franc oder Petit Verdot ist, bietet das Napa Valley gute Bedingungen für körperreichen reinsortigen Cabernet Sauvignon. Die Traube wird hier in zahlreichen genetischen Varianten angebaut, Klone genannt. Diese Klone werden wohlgemerkt nicht im Labor herangezüchtet, wie es der Name vermuten lässt. Sie entwickeln sich auf natürliche Weise, etwa durch die unterschiedlichen Terroirs und klimatischen Bedingungen, in denen sie angepflanzt werden.

Einer der ersten Weine, die Schrader abfüllte, der Flagship Beckstoffer To Kalon Vineyard, etwa wird aus Klon 4 erzeugt und stammt von Block C von To Kalon. Der Schrader RBS basiert auf Klon 337, einer prestigeträchtigen französischen Variante des Cabernet Sauvignon. Der CCS – benannt nach Schraders zweiter Ehefrau Carol Colesworthy Schrader – wird ebenfalls aus Klon 4 erzeugt. Der T 6 ist nach Klon 6 benannt. „Klon 4 kam aus Argentinien zu uns“, berichtet Jason Smith: „Wir dachten zuerst, wir hätten Malbec vor uns. Erst die DNA-Analyse ergab, dass es sich um Cabernet Sauvignon handelte.“

„Alles, was man sich von einem Wein wünschen kann“

Kritiker, allen voran der Gründer des Wine Advocate, Robert Parker, erkannten früh die außerordentliche Qualität des Cabernet Sauvignon von Schrader Cellars. Sie überhäuften seine Weine mit hohen Bewertungen zwischen 95 und 100 Punkten. Mehr als dreißig mal zeichneten Kritiker Schraders Weine mit Hundert-Punkte-Bewertungen aus. Ein Notendurchschnitt, der auch für einen Spitzengewächse nicht selbstverständlich ist. Über den 2004 Schrader Cellars Cabernet Sauvignon Beckstoffer Vineyard schrieb Parker: „Dieser tiefgründige Wein hat alles, was man sich von einem Wein wünschen kann: ein Bouquet von Lavendel, Zedernholz, Creme de Cassis, Brombeeren, subtilem Rauch und Weihrauch. Er ist breit, vollmundig und üppig, mit ätherischer Komplexität, bemerkenswerter Konzentration und jener unbeschreiblichen Gravität und Noblesse, die herausragende Weine von Weltklasse besitzen.“ Besonders häufig zeichnete Parker den Old Sparky aus, eine Mischung aus den Klonen 4,6 und 337, die in Magnumflaschen abgefüllt wird. Zuletzt vergab er 100 Punkte an den Jahrgang 2019. Über ihn schrieb Parker: „Vollmundig, reichhaltig, samtig und alles umhüllend, liefert er nahezu endlose Wellen von schwarzen Kirschen, roten Himbeeren und komplexen, aber sanften Gewürznoten. Im Abgang ist er lang und köstlich. Er schließt nahtlos die Lücke zwischen Kraft und Eleganz und lässt kaum eine andere Reaktion zu als „Wow!“ Mit dem Erfolg ihrer Zusammenarbeit bekam Schrader jenseits von To Kalon Zugang zu weiteren von Andy Beckstoffers Parzellen wie dem Weingarten George III. in Rutherford und den kieselhaltigen Böden von Las Piedras.

Der Jahrgang 2021 von Schrader Cellars mit der Magnumflasche des Old Sparky. Foto: Schrader Cellars

Jason Smith hat drei Cabernet Sauvignons des Jahrgangs 2018 nach Hamburg mitgebracht: den T6, CCS und RBS. Alle drei sind körperreiche, kraftvolle Weine mit intensiver Frucht. Sie beeindrucken zudem durch seidige Tannine, viel Schmelz und einen langen, nuancenreichen Abgang. Es fällt schwer, einen Favoriten zu benennen. Am Ende fällt unsere Wahl auf den CCS, dem die Balance aus Körperreichtum, Komplexität und Leichtigkeit, dem Aroma von reifen, schwarzen Kirschen, zartem Schmelz und reich strukturiertem Finale besonders elegant gelingt. Der CCS ist in dem Trio der primus inter pares. 

Schrader verkaufte an Constellation, Colgin an LVMH

Fred Schrader hat das Unternehmen 2017 im Alter von 67 Jahren an Constellation Brands verkaufte – übrigens im selben Jahr, in dem seine einstige Ehepartnerin Ann Colgin für ihre eigenen gefeierten Weine der Marke Colgin Cellars in der französischen LVMH-Gruppe einen illustren Partner fand. Branchenkenner schätzen, dass der amerikanische Getränkekonzern 60 Millionen Dollar für Schrader Cellars zahlte. Constellation ist zugleich Eigentümer des Weinherstellers Robert Mondavi, der den größeren Teil des To-Kalon-Weinbergs besitzt. 177 Hektar bewirtschaftet Mondavi, 36 Hektar kultiviert Beckstoffer Vineyards. Für Schrader Cellars eröffnete sich mit der Übernahme der Zugang zu unerforschten Gefilden des Cabernet Sauvignon in To Kalon. Erste Ergebnisse sind die Abfüllungen Cabernet Sauvignon Heritage Clone und Monastery Block, beide aus Klonen erzeugt, die in Robert Mondavis Abschnitten von To Kalon gedeihen. 

Fred Schrader erntet derweil die Früchte seines Erfolgs. Er verbringe jetzt viel Zeit in der Karibik, flachst Jason Smith. Glaubt man einem Bericht des Magazins Cigar Aficionado genießt der Bonvivant dort das schöne Leben und jag hin und wieder im Stile Ernest Hemingways einem Schwertfisch hinterher.

Der legendäre Weinberg von To Kalon im Napa Valley. Foto: Schrader Cellars

Constellation Brands und Robert Mondavi zeigen sich derweil entschlossen, in den Ausnahme-Standort To Kalon und in Schrader Cellars zu investieren.

Ein wichtiges Signal war es, dass Mondavi seinen Anteil an To Kalon in den letzten Jahren geduldig auf biologische Landwirtschaft umstellte. 2023 vermeldete das Unternehmen die Bio-Zertifizierung durch California Certified Organic Farmers (CCOF) und feierte den Schritt als „eine große Errungenschaft und einen monumentalen Meilenstein für das Napa Valley“. „Die Investitionen, die wir in unser Land und unseren Betrieb tätigen, werden uns in die Lage versetzen, weiterhin die besten Weine der Welt zu produzieren und gleichzeitig die Ressourcen zu schützen, zu erhalten und zu verbessern, die unsere Arbeit erst möglich machen“, verkündete der Konzern. „Durch die Umstellung auf ökologischen Landbau wird sichergestellt, dass der Weinberg weiterhin gesund bleibt und qualitativ hochwertige Früchte hervorbringt“, sagt Jason Smith. Die Produktionsmenge variiert je nach Jahrgang. 2022 waren es etwa 2800 Kisten à 9 Liter.

Für den Sommelier, der die gute Küche liebt  – so schwärmt er davon, wie vorteilhaft es ist, Fleisch sous-vide zu garen – steht fest: „Kalifornische Weine verdienen einen Platz in der Welt der großen Weine. Wir möchten, dass Schrader auf den Top-Weinkarten und in den Weinläden der Welt vertreten ist, so wie man es von den Top-Chateaux aus Bordeaux gewohnt ist.“ Preislich bewegt sich der Wein unterhalb renommierter Bordeaux-Weine wie Château Margaux und Château Cheval Blanc. Durchschnittlich kostet eine Flasche rund 400 Euro. Die Magnumflasche des 2012 Old Sparky liegt zwischen 1500 und 3.498 Euro. Als Einstieg in die faszinierende Welt des reinsortigen Cabernet Sauvignons aus Napa Valley eignet sich der Schrader Cellars Double Diamond (Preis ca. 98 Euro). 

© Holger Christmann/FEATURE