Russland
Der Erfinder des Magnitzki Act
William Browder war zeitweise der größte ausländische Investor in Russland, dann wurde er Putins Staatsfeind Nummer eins. Er initiierte den Magnitzki Act, der es den Vereinigten Staaten erlaubt, Korruption und Menschenrechtsverletzungen in Russland und anderswo zu sanktionieren.
VON HOLGER CHRISTMANN
16. Februar 2022
William Browder 2004 in Moskau. Er war damals Mitinhaber des größten ausländischen Investmentfonds in Russland. Ein Jahr später verweigerte ihm der Kreml die Einreise. Foto: James Hill
Die Geschichte von William Browder klingt wie aus einem Spionageroman der Zeit des Kalten Kriegs. Doch diese Geschichte begann im Jahr 2005, und sie steht für den Beginn eines neuen Kalten Krieges, den nicht der Westen vom Zaun brach, sondern Russlands Präsident Wladimir Putin. William oder Bill Browder, wie er meistens genannt wird, war zu diesem Zeitpunkt der CEO des größten ausländischen Investmentfonds in Russland, Hermitage Capital. Er hatte ihn 1996 zusammen mit dem Bankier Edmond Safra gegründet. „Russland war unerforschtes Gebiet. Es schien, als würde alles gut werden. Deshalb bin ich dort hingezogen. Deshalb startete ich dort mein Business. Ich war lange Zeit ein großer Cheerleader des Landes“, sagt er im Gespräch mit FEATURE. Zu Russland hatte er als Kind im ersten Kalten Krieg ein emotionales Verhältnis. Sein Großvater Earl Browder war Generalsekretär der Kommunistischen Partei Amerikas und kannte Russland aus eigener Anschauung.
William Browder. Foto: Peter Lindbergh
Browders Geschäftspartner Edmond Safra kam 1999 bei einem mysteriösen Brand in seinem Haus in Monte Carlo ums Leben. Dessen Anteile an Hermitage Capital gingen an die Bank HSBC. Browder glaubte an den Standort Russland, als andere westliche Investoren in der Rubelkrise 1998 die Nerven verloren. Die Verluste aus dieser Zeit holte er schnell wieder zurück, als sich die russische Wirtschaft erholte. Zeitweise managte er über vier Milliarden Dollar Anlegerkapital.
Browder war auch deshalb so erfolgreich, weil er die russischen Unternehmen, in die er investierte, genau unter die Lupe nahm. Er wunderte sich, dass der Unternehmenswert von Gazprom deutlich unter dem des amerikanischen Ölkonzerns Exxon Mobile lag, obwohl Gazprom auf einigen der größten Gasreserven der Erde saß. Er fand heraus, dass Manager des Unternehmens Tochtergesellschaften und Gasfelder zu Spottpreisen an Verwandte verscherbelt hatten. Sibneftegaz, eine Tochtergesellschaft von Gazprom, war ein besonders unverhohlenes Beispiel. Sibneftegaz, ein sibirischer Gasproduzent, erwarb 1998 Lizenzen für ein Bohrfeld mit 1,6 Milliarden Barrel Öläquivalent. Browder schätzte den Wert der Tochterfirma auf damals mindestens 530 Millionen Dollar. Dennoch durfte eine Käufergruppe 53 Prozent von Sibneftegaz für 1,3 Millionen Dollar kaufen – 99 Prozent unter dem von Hermitage Capital berechneten Wert. Wer waren die Käufer? Einer war Gennadi Wjachirive, der Bruder von Gazprom-CEO Rem Wjachirew. Gennadi uns ein Sohn Andrej erwarten über eine Firma fünf Prozent von Sibneftegaz für nur 87 600 Dollar. Zehn Prozent von Sibneftegaz erwarb ein Unternehmen, dass Wjatscheslaw Kusnezow und seiner Frau Natalie gehörte. Wjatescheslaw war der Leiter der Abteilung für Innenrevision von Gazprom, eben jener Abteilung, die derartige Vorgänge aufdecken und verhindern sollte.
Browder machte diese und andere Korruptionsfälle im westlichen Zeitungen publik. Der neue Präsident Wladimir Putin musste reagieren und ersetzte beispielsweise Gazprom-Chef Rem Wjachirew durch den bis heute amtierenden Vorstandschef Alexej Miller. Gleichzeitig bemühte sich der gebürtige Amerikaner mit britischem Pass um einen Sitz im Aufsichtsrat von Gazprom, um am Umbau des Gasriesen in ein transparentes Unternehmen mitzuwirken.
2005 wendete sich das Blatt: Als Browder mit einer Aeroflot-Maschine in Moskau landete, wurde ihm am Moskauer Flughafen Scheremetjewo die Einreise verweigert. Er stelle eine Gefährdung der nationalen Sicherheit da, wurde ihm beschieden. Der Investor führte Hermitage Capital nun von London aus und hoffte auf eine Wiedereinreise nach Moskau. Die wurde ihm verwehrt. Er sei wohl mächtigen Interessen in den Weg gekommen, erfuhr er von Regierungsbeamten in Moskau und London.
Schon vor seinem Einreiseverbot hatte die Moskauer Staatsanwaltschaft gegen Hermitage Capital Ermittlungen wegen Steuerhinterziehung eingeleitet. Browder leugnet nicht, dass er Steuerschlupflöcher nutzte. So bot die autonome südrussische Provinz Kalmückien Steuervorteile, wenn Unternehmen Behinderte einstellten. Browder beschäftigte daraufhin in der dort angesiedelten Tochtergesellschaft zahlreiche Behinderte. Er beruft sich aber darauf, dass diese Schlupflöcher nun mal legal gewesen seien. Was jeder wusste: Anklagen wegen vermeintlicher Steuerhinterziehung waren in der Ära Putin ein bewährtes Mittel geworden, unliebsame Unternehmer hinter Gitter zu bringen. Browder ahnte, dass Hermitage Capital ein „reiderstvo“ drohte, die in Russland verbreitete und von staatlichen Stellen gedeckte kriminelle Übernahme eines Unternehmens. Rechtzeitig gelang es ihm, die Vermögenswerte von Hermitage Capital in mehreren Tranchen außer Landes zu transferieren.
Als Einheiten des Innenministeriums 2007 die Geschäftsräume von Hermitage Capital in Moskau stürmten, gab es nicht mehr viel zu beschlagnahmen außer Akten, Gründungsurkunden und Firmenstempel. Mit deren Hilfe beantragten kurz darauf hohe russische Beamte, eine Steuerrückerstattung in Höhe der 230 Millionen Dollar. Der Betrag entsprach der Summe, die Hermitage Capital nach Angaben Browders 2006 in Russland gezahlt hatte. Browders Steuerberater Sergej Magnitzki meldete die kriminellen Machenschaften der Moskauer Polizei. Doch kurz nachdem er Anzeige erstattet hatte, wurde er selbst verhaftet.
358 Tage verbrachte Magnitzki unter menschenunwürdigen Bedingungen in Untersuchungshaft. Er erkrankte schwer, unter anderem an einer Entzündung der Bauchspeicheldrüse. Medizinische Hilfe wurde ihm verweigert, kurz vor seinem Tod wurde er laut US-Kongress mit Gummiknüppeln traktiert. Die Krankenwagenbesatzung, die gerufen wurde, um ihn zu behandeln, als er im Sterben lag, wurde absichtlich eine Stunde und 18 Minuten lang außerhalb seiner Zelle gehalten, bis der 37-Jährige tot war. Der russische Menschenrechtsrat, der Russlands Regierung berät, bestätigte in einem Untersuchungsbericht diese Tatbestände und befand, dass Magnitzkis Inhaftierung gesetzeswidrig war.
Ist Putin der
reichste Mann
der Welt?
Bill Browder schwor, dass der Tod seines Mitarbeiters Konsequenzen haben müsse. Er berichtete den amerikanischen Senatoren Benjamin Cardin und John McCain von dem Fall und erreichte, dass der Kongress 2012 den Sergej Magnitsky Rule of Law Accountability Act beschloss. Der erlaubt es, die Vermögenswerte von Individuen, die in Russland in Korruption und Menschenrechtsfälle verwickelt sind, einzufrieren und ihnen die Einreise in die Vereinigten Staaten zu verweigern. 2016 folgte er Global Magnitsky Human Rights Accountability Act, der Einreise- und Vermögenssperren auch für Staatsbürger anderer Länder erlaubt. Nachdem zwei russische Geheimdienstler im britischen Salisbury versuchten hatten, den Ex-Agenten Sergej Skripal und seine Tochter mit dem chemischen Kampfstoff Novitschok zu ermorden, rang sich auch Großbritannien zu einem Magnitzki-Gesetz durch.
In der Zwischenzeit war ein Kronzeuge Browders, Alexander Perepilichny, auf mysteriöse Weise 2012 beim Joggen in der Grafschaft Surrey ums Leben gekommen. Ein Sachverständiger fand in seinem Körper Spuren eines Pflanzengifts. Perepilichny war Finanzberater jener hohen russischen Beamten, die verdächtig sind, die 230 Millionen Dollar veruntreut zu haben.
Der Kronzeuge hatte der Schweizer Bundesanwaltschaft Dokumente übermittelt, die entsprechende Überweisungen auf Schweizer Banken belegten. Der Tod des Kronzeugen ereignete sich kurz vor einer von den Schweizer Strafbehörden angesetzten Gegenüberstellung zwischen Perepilichny und einem der Besitzer der eingefrorenen Konten, Vladlen Stepanov. Der Bundesstaatsanwalt Patrick Lamon zog 2021 nur einen kleinen Teil der Summe auf Schweizer Banken ein. Die Begründung lautete, dass das aus dem mutmasslichen Betrug stammende Geld über verschiedene ausländische Konten lief, bevor es in die Schweiz kam. Im Ausland wurde es mit anderen Geldern vermischt, deren Herkunft unklar ist. Wie mit solchen Geldern umzugehen ist, die möglicherweise nur zum Teil aus kriminellen Handlungen stammen, ist offenbar in der Schweizer Rechtsprechung nicht abschliessend geklärt. Durch den Tod des Kronzeugen war eine Klärung der Überweisungen nicht mehr möglich. Browder zeigte sich empört über die vorzeitige Einstellung des Verfahrens.
Fortschritte machte Browder jedoch in der Lobby-Arbeit für den Magnitzki Act. Kanada, das Vereinigte Königreich und die EU beschlossen eigene Sanktionsgesetze im Stil des Magnitzki Acts. Die Vereinigten Staaten verhängten auf Basis des Global Magnitzki Act Sanktionen gegen Mittäter des Mordes an dem saudischen Journalisten Jamal Kashoggi, gegen die der Korruption beschuldigen Gupta-Brüder in Südafrika und gegen Yamaha Jammeh, den früheren Präsidenten von Gambia.
Bill Browder Wirtschaftsprüfer Sergej Magnitzi starb 2009 in einem russischen Untersuchungsgefängnis. Foto: privat
Immer wieder versucht Russland, eine Rücknahme des Magnitzki-Gesetzes zu erreichen. So auch 2016 in einem ominösen Meeting im Trump Tower zwischen der russischen Anwältin Natalia Wesselnitzkaya und Donald Trump Jr..
Und auch Browder haben die Russen im Visier. Achtmal ersuchten sie Interpol um die Ausschreibung einer Red Notice zur Festnahme und Auslieferung Browders. Red Notice – so nannte Browder auch das Buch, in dem er 2015 seine Geschichte und die des Magnitzki-Falls erzählte. In der Pressekonferenz, die Präsident Donald Trump und Wladimir Putin 2018 in Helsinki gaben, bat Putin sogar vor der Weltöffentlichkeit darum, William Browder in Moskau zu Geschäftspartnern zu befragen, die Steuerschulden nicht beglichen hätten. Browder sagt, eine Auslieferung an Russland bedeute für ihn den sicheren Tod.
Im Interview mit FEATURE fordert der 57-Jährige die europäischen Staaten und Deutschland auf, die Vermögen der Oligarchen im Westen ins Visier zu nehmen, denn sogenannte Treuhänder-Oligarchen verwalteten auch Putins Privatvermögen. Sanktionen gegen Putins Freunde träfen den russischen Präsidenten persönlich und seien ein Hebel, den russischen Präsidenten von weiteren Aggressionen gegen die Ukraine abzuhalten.
Bleibt die Frage, welches Vermögen der russische Präsident besitzt. Bill Browder und andere sind überzeugt, dass Putin der vermutlich reichste Mann der Welt ist und dass ein Angriff auf sein Vermögen seine „Achillesferse“ treffe. Wenn er es ist, dann ist er schlau genug, seine Spuren zu verwischen. Alexej Nawalny enthüllte 2021 die Geschichte von Putins milliardenteurem Palast am Kap Idokopas am Schwarzen Meer, dessen Auftrag sich in die Präsidialverwaltung zurückverfolgen lasse. Die britische Wirtschaftsjournalistin Catherine Belton lässt in ihrem Buch Putins People (2020) Zeugen wie den Mitbegründer der Meschprombank und Kreml-Intimus Sergej Pugatschow zu Wort kommen, die Putin als eine Art obersten Paten beschreiben, der an kriminellen Firmenübernahmen durch Geheimdienstler und an Geschäften ranghoher Mitarbeiter in der Präsidialverwaltung mitverdiene. Zugeschrieben wird Putin auch die Superyacht Graceful, die von der deutschen Werft Blohm & Voss gebaut wurde. Nachdem Anfang Februar 2022 ruchbar wurde, dass Putins Yacht bei Blohm & Voss umgebaut werde, verließ die Yacht fluchtartig den Hamburger Hafen in Richtung Kaliningrad – möglicherweise auf Furcht vor genau den westlichen Sanktionen, die Bill Browder in unserem Interview fordert.
© Holger Christmann