Ukraine
„Das Schweigen hilft Putin“
Ljuba Mychajlowa, eine der bedeutendsten Kunstmäzeninnen der Ukraine, fordert ein Embargo russischer Sponsoren in Kunst und Kultur.
VON HOLGER CHRISTMANN
11. April 2022
Ljuba Mychajlowa. Die Mäzenin aus Donezk brachte einst bekannte zeitgenössische Künstler nach Donezk. Jetzt liefert sie Hilfsgüter in ihre Heimat. Foto: Dima Sergeev
Bisher war Venedigs Kunstbiennale immer auch eine Parade russischer Superyachten. Das wird bei der 59. Auflage dieser „Olympischen Spiele der Kunst“ (23. April bis 27. November) in diesem Jahr anders sein. Kunstbeflissene Oligarchen wie Roman Abramowitsch und Leonid Mikhelson lassen ihre Yachten zwischen Häfen wie Dubai oder der Türkei herumschippern, wo ihnen keine der Sanktionen drohen, die europäische Staaten und die Vereinigten Staaten wegen des russischen Kriegs in der Ukraine gegen Putins Treuhänder und deren Besitztümer verhängt haben.
Russische Gala-Dinners am Canale Grande fallen ebenfalls aus, und auch der russische Biennale-Pavillon bleibt unbespielt, nachdem Kuratoren und Künstler ihre Teilnahme wegen des Krieges abgesagt haben. Derweil bietet der Kunstmarkt nach wie vor viele Schlupflöcher für russisches Geld. Hunderte Künstler und Kuratoren haben jetzt über die bisherigen Sanktionen hinaus eine Petition unterzeichnet, die zum Boykott russischer Sponsoren in Kunst und Kultur auffordert. Zu den Initiatorinnen des Aufrufs gehört Ljuba Mychajlowa, eine der profiliertesten ukrainischen Fördererinnen von Gegenwartskunst. Holger Christmann sprach für die Zeitung WELT am SONNTAG und für FEATURE mit Mychajlowa, die in Südfrankreich wohnt, und mit ihrem in der Ukraine verbliebenen Mitarbeiter Mykhail Glubokyi über ihre Petition und über die Enteignung ihres Kulturareals in Donezk.
FEATURE: Sie sind eine der Initiatorinnen der Petition removerussiafrom.us, die zum Boykott russischer Sponsoren in der Kunstwelt aufruft.
Mychajlowa: Russische Oligarchen haben Europas Kunst und Kultur über Jahre korrumpiert, um die Soft Power des Kreml zu stärken. Der Milliardär Wladimir Potanin war ein Geldgeber des Guggenheim Museum, Piotr Aven, der Haupteigentümer der Alfa Bank, unterstützte die Tate Modern und die Royal Academy of Arts. Musikfestivals, Ballette, Museen, alles ist von schmutzigem russischem Geld unterwandert. Putins Elite hat ihre Kinder in der Kunstwelt platziert. Der russische Staat hat die Agentur Smart Art für zehn Jahre mit der Ausrichtung des russischen Pavillons auf der Kunstbiennale von Venedig beauftragt. Die Inhaberinnen dieser Firma sind Anastasia Karneeva und Ekaterina Vinokurova. Karneevas Vater ist der früher FSB-Direktor Nikolay Volubuev. Er ist jetzt CEO des Rüstungskonzerns Rostech, der Kampfjets für den Krieg in der Ukraine herstellt. Vinokurovas Vater ist Außenminister Sergey Lawrow. Wir plädieren für einen kompletten Boykott des russischen Staats und seiner Oligarchen in Kunst und Kultur. Er soll so lange gelten bis Russland sich komplett aus der Ukraine zurückzieht. Dazu gehören auch die Rückgabe der Krim und der Rückzug aus der Ostukraine.
FEATURE: Einige ihrer Forderungen haben sich bereits erfüllt. Der Kurator des russischen Biennale-Pavillons, der Litauer Raimundas Malašauskas, hat wegen des Krieges hingeschmissen, der russische Biennale-Pavillon ist von der Biennale ausgeschlossen. Die Londoner Tate Gallery hat ihre Zusammenarbeit mit Viktor Vekselberg und Piotr Aven gekündigt. Was fordern Sie noch?
Mychajlowa: Wir verlangen, dass westliche Partner auch die Zusammenarbeit mit russischen Kunstinstitutionen beenden: zum Beispiel mit V-A-C Zattere, der venezianischen Stiftung von Leonid Mikhelson, dem Inhaber des Öl- und Gasförderers Novatek. Auch das Strelka-Institut in Moskau und das Garage-Museum sollten boykottiert werden.
FEATURE: Garage ist für junge Moskauer ein Symbol der Offenheit für westliche Ideen. Trifft Ihr Boykottaufruf nicht auch die Falschen?
Mychajlowa: Es kommt darauf an, woher Garage sein Geld bezieht. Stammt es von Darya Zhukovas Ex-Mann Roman Abramowitch oder von ihrem Vater, dem Großunternehmer Alexander Zhukov, dann ist es ein Teil des Putin-Systems.
FEATURE: Viele russische Künstler dürften der Politik des Kreml kritisch gegenüberstehen. Schadet man mit einem Russland-Boykott nicht auch ihnen?
Mychajlowa: Wir unterstützen alle russischen Künstler, die sich offen gegen den Krieg aussprechen. Dafür reicht aber nicht eine SMS oder eine Instagram-Nachricht. Es ist Zeit für diese Menschen, Farbe zu bekennen. Ihr Schweigen hat lange genug dem Regime geholfen, das jetzt Krieg gegen die Ukraine führt.
Der französische Starkünstler Daniel Buren schuf für Izolyatsiya in Donezk 2012 die Installation Dans les filets, la couleur. Zwei Jahre später überfielen von Russland finanzierte Separatisten Luba Mychajlowas Fabrikgelände und verwandelten es in ein Foltergefängnis. Foto: Dima Sergeev
FEATURE: Sie haben erfahren, wie sich die Menschenrechtslage an Orten verschlechtert hatte, die unter russischen Einfluss geraten. 2010 gründeten sie in einer stillgelegten Fabrik in Donezk das Kunstzentrum Izolyatsiya. 2014 wurde das Areal von pro-russischen Separatisten überfallen (die WELT berichtete). Was genau ist seither passiert?
Mychajlowa: Ich hatte im Rahmen der Kulturjahres Ruhr.2010 die Essener Zeche Zollverein gesehen. Die Transformation eines Industriedenkmals in einen Ort von Kunst und Kultur inspirierte mich dazu, in meiner ostukrainischen Heimat etwas Ähnliches zu bewirken. Der Donbass ist ja wie das Ruhrgebiet stark vom Bergbau geprägt. Mein Vater hatte in der Sowjetunion die Izolyatsiya-Fabrik in Donezk geleitet. Sie stellte Isoliermaterialien, etwa für Pipelines, her. Ich übernahm sie und verwandelte sie gemeinsam mit einem britischen Geschäftspartner in ein Kunst- und Kulturareal. Wir stellten einheimische Künstler vor, schrieben Artist-in-Residence-Programme aus, führten gesellschaftspolitische Diskussionen. Internationale Stars wie der Franzose Daniel Buren und der Chinese Cai Guo-Qiang schufen Werke für Izolyatsia. Als pro-russische Separatisten 2014 Donezk angriffen, überfielen sie auch unser Fabrikgelände. Sie waren bewaffnet und zeigten ein Papier vor, das behauptete, das Gelände werde gebraucht, um humanitäre Hilfe aus Russland zu beherbergen. Einen Mann in dieser Gruppe kannte ich. Er hatte schon die Wahlen in der selbsternannten Republik Donezk organisiert.
FEATURE: Sie wurden von den Separatisten enteignet?
Mychajlowa: So ist es. Sie enteigneten mich und meine britischen Geschäftspartner.
FEATURE: Ihr Kunstareal Izolyatsiya in Donezk verwandelten die Separatisten 2014 in ein illegales Gefängnis. Was genau spielt sich dort seither ab?
Mychajlowa: Unsere Stiftung verlegte ihren Sitz nach Kiew. Derweil verwandelten die Separatisten unser Kulturzentrum in ein illegales Gefängnis. Sie entführten Menschen, folterten sie mit Elektroschocks und exekutierten sie. Die Brutalität dieser Leute ist unvorstellbar. Nicht umsonst wurde keiner humanitären Mission jemals erlaubt, sich ein Bild von den Zuständen dort zu machen. Die UN prangerten immer wieder aufgrund von Augenzeugenberichten die Verbrechen an, die russische und von Russland finanzierte Folterknechte in der Izolyatsia-Fabrik begingen. Den Journalisten Stanislav Aseyev hielten sie 28 Monate fest. Aseyev beschrieb seine Leidensgeschichte in einem Buch („Heller Weg – Geschichte Konzentrationslagers im Donbass 2017 – 2019“, Anm. d. Red). Der Westen verschloss aber weiter die Augen.
Glubokyi: Im jetzigen Krieg entführen die Russen wieder jeden Tag Menschen. Sie führen für jede Stadt eine Liste von Aktivisten. Darunter sind auch die Namen von Museumsleuten. Die Russen kommen an die Tür und holen sie ab. In den Orten, die von Russen beherrscht werden, herrschen schreckliche Zustände. Die Besatzer plündern, sie brechen in die Häuser von Leuten ein. Die Eltern von Freunden hatten ein neues Haus in Irpin gebaut. Sie mussten sich zwei Wochen im Keller verstecken. Über sich hörten sie, wie die Russen Sachen stahlen. Meine Freunde gelang es, zu fliehen. Sie sind jetzt in Polen.
Ein spielerisches Kunsterlebnis bot den Besuchern von Izolyatsiya die Installation Bank des argentinischen Konzeptkünstlers Leandro Erlich. Das Werk besteht aus einer auf die Seite gedrehten Fassadenattrappe und einem mehrstöckigen Spiegel. Die pro-russischen Separatisten haben für Kunst nichts übrig. Sie zerstörten die Kunstwerke. Foto: Dima Sergeev
FEATURE: Wie viele Ihrer Mitarbeiter sind in Kiew geblieben?
Mychajlowa: Circa fünf. Sie koordinieren die Zusammenarbeit mit Künstlern, etwa beim Bau von Panzersperren. Unsere Direktorin, Oksana, hielt sich am Tag, als der Krieg begann, an der syrisch-türkischen Grenze auf. Wir sind Teil eines Netzwerks von Kulturzentren in Kriegsgebieten, und sie besuchte dort einen Partnerorganisation. Als die russische Invasion begann, wollte Oksana über Istanbul nach Kiew fliegen. Aber der Luftraum war schon geschlossen. Ihre zwei Töchter, die sie schon vor dem Krieg von 2014 im Donbass gerettet hatte, wohnten ebenfalls in Gostomel Irpin, der am schlimmsten betroffenen Gegend von Kiew. Ihre Großmutter passte auf sie auf. Die Kinder und die Großmutter konnten sich während der Bombardierungen in den Zug nach Lemberg retten. Oksana holte sie in Polen ab. Ihr Lebensgefährte starb bei einem der russischen Angriffe auf Kiew. Es ist das zweite Mal, das sie ihren Partner im Krieg verliert. 2014 starb ihr Ehemann während der russischen Invasion im Donbas. Nach vielen Jahren hatte sie endlich ein neues Glück gefunden. Es ist entsetzlich.
Glubokyi: Ich wohne mit meiner Familie bis zum Kriegsausbruch im Norden Kiews. In der Nähe gibt es Militärkasernen und einen Militärflughafen. Am 24. Februar wurden wir morgens von Detonationen geweckt und packten sofort unsere Sachen. Die Straßen waren voll von Autos mit Flüchtenden, die Schlangen an den Tankstellen so lang, dass wir für die Strecke von 800 Kilometern zwei Tage brauchten. Wir übernachteten im Auto. Jetzt sind wir in Ushgorod, einer Stadt direkt an der Grenze zur Slowakei. Wir wohnen in einem Hotel. Viele Flüchtlinge kommen hier an. Die meisten bleiben nur eine Nacht und wollen weiter in die Slowakei. Mir ging es vor alle darum, meine Familie in Sicherheit zu bringen.
„Russland führt
Krieg gegen unsere
Zivilgesellschaft“
FEATURE: Kann es nicht sein, dass Sie noch eingezogen werden?
Glubokyi: Die Polizei war hier. Sie gehen in die Hotels und suchen nach Männern. Sie registrieren einen, um zu wissen, wer zur Not verfügbar ist. Es kann sein, dass ich in die Armee einberufen werde, aber das wird erst in der vierten Welle passieren. In die fallen Männer ohne militärische Erfahrung. Ich glaube, dass ich mich auf andere Art nützlicher machen kann, etwa indem ich humanitäre Hilfe organisiere.
FEATURE: Worin bestehen diese Hilfen?
Mychajlowa: Heute haben wir Benzin für Lastwagen gekauft. Dafür arbeiten wir direkt mit Ölgesellschaften zusammen. Ein anderes Beispiel: Eine meiner Firmen verarbeitet Bio-Lebensmittel und arbeitet mit ukrainischen Lieferanten zusammen. Die verteilen jetzt in Kiew Nahrungsmittel an die Armee.
FEATURE: Wie finanzieren Sie diese Unterstützung?
Mychajlowa: Wir erhalten für unsere kulturelle Arbeit Fördermittel von vielen Seiten: von EU, British Council, der niederländischen Botschaft, dem Dänischen Kulturinstitut, aus Italien und vom deutschen Außenministerium. Uns wurde erlaubt, diese Mittel in humanitäre Hilfe umzuleiten. Wir haben Kontakte auch in kleinere Orte. Sie sagen uns, was sie brauchen. Wir versuchen, es zu liefern. Unterstützung kommt auch von unseren Partnerorganisationen in Europa. Wir sind Mitglied von Trans Europe Halles, einem der ältesten kulturellen Verbünde in Europa, der seit 1983 existiert. 135 Organisationen in 39 Ländern gehören ihm an – von Spanien bis Georgien. Und überall wollen die Menschen der Ukraine helfen.
FEATURE: Wie unterstützen Künstler die Landesverteidigung?
Mychajlowa: Sie bauen Panzersperren, nähen Tarnnetze, und Street Art-Künstler übermalen mit Öl die Zeichen, die Russen mit fluoreszierenden Farben an ukrainischen Häusern anbringen, um potentielle Ziele zu markieren. Diese Einsätze werden auch von uns in Kiew koordiniert.
FEATURE: Der Widerstand der Ukrainer gegen den Angriff auf ihr Land beeindruckt viele im Westen. Haben Sie mit so viel Kampfgeist gerechnet?
Mychajlowa: Die junge Generation ist absolut beeindruckend. Sie ist in einer freien Ukraine geboren, nicht in der Sowjetunion. Der Unterschied zwischen Ukrainern und Russen ist: Wir haben eine Zivilgesellschaft. Die Russen leben in Unterdrückung. In der Ukraine hatten wir dauernd Revolutionen – von der „Orange Revolution“ 2004/2005 bis zum Maidan 2014. In Russland himmeln sie seit 22 Jahren Wladimir Putin an. Die Ukraine ist nicht perfekt. Es gibt Korruption im Land, aber wir bekämpfen sie, und wir stehen nicht viel schlechter da als Rumänien und Bulgarien. Als Gesellschaft sind wir sehr viel weiter als Russland. Unser Land hat einen solchen Willen gezeigt, europäisch zu sein…umso unverständlicher ist, dass die EU uns noch nicht aufgenommen hat.
Glubokyi: Kurz vor dem russischen Überfall nahm ich in Moldawien an einer Konferenz von Kulturorganisationen aus der Ukraine, aus Belarus, Georgien, Armenien, Aserbaidschan und Moldawien teil. Aus allen diesen Ländern hörte ich, dass die Zivilgesellschaft der Ukraine für sie ein leuchtendes Vorbild ist. Sie sagten: Ihr habt freie Wahlen, ihr habt die Dezentralisierung vorangetrieben, so dass eure Städte und Regionen jetzt eigene Kulturbudgets haben. Sie bewundern die Zivilgesellschaft der Ukraine. Mehr denn je bin ich heute überzeugt, dass diese freie, selbstbewusste Zivilgesellschaft der Grund ist, warum Russland die Ukraine angreift.
FEATURE: Wir bedanken uns für das Gespräch
© Holger Christmann