Wein
La vie en rosé
Als der LVMH-Konzern das Weingut Château Galoupet in der Provence kaufte, erwarb er damit auch 77 Hektar unberührter Natur. CEO Jessica Julmy will genau das nutzen und das Weingut in ein Paradies der Biodiversität verwandeln. Das soll dem Cru Classé Rosé zugute kommen, der hier produziert wird. Der erste Jahrgang unter neuer Führung zeigt, wie viel Charakter ein Roséwein haben kann.
VON HOLGER CHRISTMANN
6. Juni 2022
CEO Jessica Julmy will Château Galoupet in ein Muster an Biodiversität verwandeln. Foto: Margot Mchn
„Ein Roséwein dient dazu, auf unbeschwerte, anspruchslose Weise Freude zu bereiten. Ich glaube, niemand hat jemals länger als ein paar Minuten über einen Roséwein diskutiert, außer um festzustellen, ob er als eigenständiger Wein oder als Schatten von etwas anderem, das weiß oder rot sein könnte, angenehm ist. Roséweine können nur ein Schatten der Rot- oder Weißweine sein, zu denen sie hätten gemacht werden können.“ Dieses wenig schmeichelhafte Urteil über den Roséwein fällte 1975 die Weinkritikerin Pamela Vandyke-Price. Außerdem hielt sie fest, dass unter den großen Weinklassikern kein einziger Roséweine sei. Das könnte sich womöglich ändern. Der Rosé hat viel getan, um seinen Ruf, ein flüchtiger Sommerflirt zu sein, zu widerlegen.
In den letzten zwei Jahrzehnten hat der Rosé an Prestige gewonnen. Das liegt nicht nur daran, dass Brad Pitt in der Provence das Château Miraval gekauft hat und dort Rosé für den feineren Gaumen produziert. Die eigentlichen Protagonisten der Rosé-Revolution sind Leute wie Sacha Lichine. Der Weinguru aus dem Bordeaux kaufte 2006 in der Provence das Weingut Château d’Esclans und begann dort, eine neue Generation vielschichtiger Rosés mit punkigen Namen wie Rock Angel und Whispering Angel zu produzieren. Für diese komplexeren, lachsfarbenen Gewächse hat sich der Ausdruck Saint-Tropez-Style-Rosé etabliert. 2019 erwarb LVMH die Mehrheit am Château d’Esclans. Im selben Jahr sicherte sich die der Luxuskonzern von Bernard Arnault mit Château Galoupet ein weiteres Weingut in der Provence: Château Galoupet ist eines von 18 Weingütern der Côtes-de-Provence, die Cru-Classé-Status besitzen.
Von den Weinbergen des Château Galoupet erblickt man das Meer mit den Goldenen Inseln: Eine davon ist die für ihre Ursprünglichkeit und ihre schönen Strände bekannte Insel Porquerolles. Foto: Margot Mchn
Klasse hat auf jeden Fall der Standort in der Gemeinde La Londe les Maures. Direkt hinter dem Weingut glitzert das Meer, und in der Ferne erheben sich aus dem Dunst die Goldenen Inseln der Riviera, darunter das für seine Ursprünglichkeit und seine Strände gerühmte Eiland Porquerolles.
Die salzige Meeresbrise verbindet sich hier mit den Düften von Thymian, Lavendel und Rosmarin. Die Vorbesitzer, die indisch-britische Unternehmerfamilie Shivdasani, hatten die Villa vor allem als Sommerresidenz genutzt, einen Swimming Pool angelegt und das Anwesen für Hochzeiten und andere Events vermietet. Die Weinreben vernachlässigten sie. Um ein Haar hätte Château Galoupet seinen Rang als Crus Classé de Provence verloren. Die Aberkennung dieser Klassifizierung droht, wenn zwanzig Prozent der Reben fehlen.
Als CEO Jessica Julmy vom Champagnerhaus Krug zu Château Galoupet wechselte, wusste sie zuerst nicht, wo sie anfangen soll. „Galoupet war eine schlafende Schönheit; atemberaubend, aber ohne Liebe”, sagt sie beim Rundgang durch die Weinberge. Die historischen Archive verraten, dass das Weingut schon zur Zeit König Ludwigs XIV. existierte. Julmy fand aber keine Quellen, die mit dem Notizbuch Joseph Krugs vergleichbar gewesen wären, einem Fund, der für die Neupositionierung der Champagnermarke hilfreich war.
Zum Weingut gehört ein unter Naturschutz stehender Wald mit großem Artenreichtum. Foto: Margot Mchn
Zum Weingut gehören neben den 69 Hektar vernachlässigter Rebstöcke 77 Hektar Wald, oder besser: Bäume, Büsche und Wiesen – ein lokales Schutzgebiet, in dem einheimische Arten wie die Parasolkiefer, die Korkeiche, die seltene Kamille und über 90 verschiedene Tierarten beheimatet sind, darunter zwölf Fledermausarten und die griechische Landschildkröte. Wie erfindet man für so ein Terroir eine neue Identität? Julmy erkannte: „Genau das war es: Château Galoupet ist nicht nur ein Weingut, es ist ein Ökosystem. Der geschützte Wald ist genau so wertvoll wie der Wein.“
Julmy beschloss, Château Galoupet in ein Muster an Biodiversität zu verwandeln und beim Wein konsequent auf biologischen Anbau zu setzen. Als Berater holte sie die lokalen Naturschützer vom Conservatoire d’espaces naturels, einem gemeinnützigen Naturschutzverband, an Bord. Ihre Kollegen bei Moët Hennessy waren zunächst skeptisch. Doch die energiegeladene Schweizerin ließ sich von ihrer Vision nicht abbringen.
Bienen sollen
den Artenreichtum
steigern
Biodiversität, das bedeutet: Je größer die Artenvielfalt, desto gesünder die Böden, desto weniger Chancen haben Schädlinge. „Alles ist miteinander verbunden. Die Deckfrucht lockt Schmetterlinge und Bienen an. Bienen bringen Blumen, Fledermäuse fressen Käfer und Insekten, die den Weinreben schaden“, erläutert Julmy. Gemeinsam mit dem Observatoire français d’Apidologie (Ofa) ließ sie 200 Bienenstöcke aufstellen, inklusive einer Befruchtungsstation für Bienenköniginnen, einer von nur zwölf weltweit. „Eine gesunde Bienenkönigin führt zu gesunden Bienenstöcken. Die wiederum sorgen für reichere Vegetation und für mehr Organismen im Boden. Wird der Boden aufgelockert, kann er Regen besser aufnehmen“, erklärt sie. Das erscheint gerade in der Provence, die notorisch unter Wasserknappheit leidet, sinnvoll.
200 Bienenstöcke sollen auf Château Galoupet den Tier-und Pflanzenreichtum steigern. Foto: Margot Mchn
Bienen liefern ein wertvolles Nebenprodukt, die Propolis. Mit der harzartigen Masse schützen sie die Bienenstöcke vor bakteriellen Angriffen und Pilzen. „Ein Bienenstock ist sauberer als ein Operationssaal“, erklärt der Experte vom Ofa. Die Propolis wird von der pharmazeutischen Industrie, etwa in Arznei gegen Halsschmerzen, eingesetzt oder als letzte Rettung für Patienten, die an antibiotikaresistenten Keimen erkranken. In Japan wird eine Propolis aus Brasilien sogar gerade in der Krebs-Therapie eingesetzt. Jessica Julmy will herausfinden, wie man mit dem antiseptischen Bienenharz die Weinreben schützen kann. Ein ähnliches Forschungsprojekt läuft bereits im Cognac-Gebiet.
Doch nicht jede Tierart, die das Schutzgebiet bevölkert, unterstützt das Wachstum der Weinreben. Wildschweine in der Umgebung haben schon so manchen Rebstock kahlgefressen. Julmy ließ die Lücken neu bepflanzen und ersetzte kranke Weinstöcke durch neue. „Jetzt sind die Parzellen, die wir haben, wieder auf dem Niveau eines Cru Classé“, stellt die Managerin zufrieden fest.
Mathieu Meyer ist der Direktor von Château Galoupet. Er und CEO Jessica Julmy entschieden sich dafür, die schwierige, aber besonders lohnende autochthone Rebsorte Tibouren anzubauen. Foto: Margot Mchn
Erster Jahrgang des regenerierten Weinguts ist der Château Galoupet Cru Classé Rosé 2021. Er besteht ausschließlich aus gutseigenen Trauben und ist eine vielschichtige Cuvée aus Grenache, Rolle (der provenzalische Name für Vermentino), Syrah und der ausdrucksstarken Traube Tibouren. Sie wird seit 1996 auf Château Galoupet angebaut. Die Tibouren-Traube ist eine einheimische Rebsorte, sie gilt als kapriziös und wird daher von vielen Winzern gemieden. „Einige Trauben reifen, andere nicht. Insgesamt reift die Tibouren-Traube früher als der Rest. Außerdem ist es schwer zu bestimmen, wann sie optimal gereift ist“, sagt Gutsdirektor Mathieu Meyer. „Kommt die Lese zu spät, verliert die Traube ihre Würze, ist man zu früh dran, fehlt dem Rebstock die Fruchtnote.“
Gutsdirektor Mathieu Meyer prüft den Zustand der Reben. Foto: Margot Mchn
Auch in der Vinifizierung ist der Tibouren nicht einfach. „Viele wollen eine mineralischen Rosé. Doch mit 14,8 Prozent Alkohol bringt der Tibouren-Grundwein eine Menge Muskeln mit. Dafür ist er reich an Aromen: von schwarzem Pfeffer bis zu getrockneter Aprikose.“ Und genau diese Traubensorte sei es, die dem Cru Classé von Château Galoupet seine Kraft und Struktur und seinen intensiven Geschmack verleiht, mit Noten von Pfirsich und Zitrus, Cremigkeit und Röstaromen.
Tibourin und Grenache werden in Edelstahl ausgebaut, Syrah und Rolle vier bis fünf Monate im Holzfass. Verwendet werden 600-Liter-Demi-Muids-Fässer. „Das Holz ist nicht allzu präsent. Das letzte, was wir wollten, war ein überwältigender Holzgeschmack im Wein, der wäre eine Schande. Bei uns ist das Holz wirklich dazu da, die Frucht zu steigern, nicht um zu dominieren“, betont Meyer. „Wir wollen, dass sich der Wein als Aperitif eignet und als Weinbegleitung für ein Dinner.“ Der Château Galoupet Cru Classé Rosé 2021 ist für 55 Euro erhältlich. Julmy und Meyer produzieren aber noch einen zweiten Wein, den Château Galoupet Nomade 2021 – ein frischer Côtes-de-Provence Rosé aus Grenache (22 Prozent), Syrah (23 Prozent), Rolle (18 Prozent) und Cinsault (32 Prozent). Der Château Galoupet Nomade soll dem Weingut die Möglichkeit geben, Grundweine zuzukaufen und die Produktionsmenge damit deutlich auszuweiten.
Syrah und Vermentino (provenzalisch: Rolle) werden in sogenannten Demi-Muids-Fässern ausgebaut, kleineren Eichenfässern mit 600 Liter Volumen. Foto: Margot Mchn
Jessica Julmy glaubt, dass es zwanzig Jahre dauern wird, bis ihr Plan für Château Galoupet vollendet ist. Foto: Margot Mchn
Seine hellrosa Farbe verdankt das Wein-Duo dem für Côtes-de-Provence-Weine typischen Verfahren der direkten Pressung. Die Rotwein-Trauben werden direkt nach der Lese entstielt und gepresst. Träger von Farbe und Aromen ist bei der Traube die Haut. Das Ziel der direkten Pressung ist es, den Most so schnell wie möglich zu gewinnen, um die besten Aromen zu erhalten, ohne zu viel Farbe zu extrahieren. Mathieu Meyer erläutert: „Die Kunst besteht darin, die Trauben nicht zu früh zu pressen, sonst erhält man weder Farbe noch Aroma. Man darf sie aber auch nicht zu lange in der Presse halten, sonst werden sie zu Rotwein.“
Der Château Galoupet Cru Classé wird in bernsteinfarbenen Flaschen aus großteils recyceltem Glas abgefüllt. Foto: Margot Mchn
Jessica Julmy legt auch bei den Verpackungen großen Wert auf Nachhaltigkeit. „Die Verpackung macht 40 Prozent des CO2-Fußabdrucks aus“, erklärt sie mir. „Wir wollten einen großartigen Wein, der so rücksichtsvoll wie möglich mit der Natur umgeht“, erklärt sie. Der Cru Classé Côtes de Provence wird in Flaschen abgefüllt, deren bernsteinfarbenes Glas zu siebzig Prozent recycelt ist. Die Flasche wiegt leer nur 499 Gramm. Normale Glasweinflaschen wiegen bis zu 750 Gramm.
Der Galoupet Nomade wird in einer ungewöhnlichen, flachen Plastikflasche mit Drehverschluss verkauft, die zu hundert Prozent aus recyceltem Ozean-Plastik (preventedoceanplastic.com) besteht. Sie wiegt nur 63 Gramm und ist damit 87 Prozent leichter als herkömmliche Glasflaschen. „Mit ihrer flachen Form spart sie vierzig Prozent Platz beim Transport“, schwärmt Julmy. Sie spricht auch von Letterbox-Design, das heißt, die Flasche passt mancherorts sogar in Briefkastenschlitze.
Der Château Galoupet Nomade in der Flasche aus recyceltem Ozean-Plastik. Fotos: Holger Christmann
„Der Château Galoupet Nomade lässt sich hervorragend zu einem Picknick oder auf eine Yacht mitnehmen. Er ist leicht, und die Flasche zerbricht nicht.“ Die POP-Flasche (POP= Prevented Ocean Plastic) entstand nach einem Design von Garçon Wines in Kooperation mit dem Verpackungshersteller Packamama. Den Geschmack beeinträchtige die speziell bearbeitete Plastikhülle nicht, versichert die agile Unternehmenschefin. Tests mit Sommeliers hätte das ergeben. In unserer Verkostung zeigte sich die Flasche erfreulich geruchs- und geschmacksneutral. Ein Kollege fragt, ob Plastikteilchen in den Wein migrieren könnten. Julmy verneint das. Der Erfinder dieser Art Flaschen, Garçon Wines, spricht von einem Shelf Life (Haltbarkeit) von 19 bis 21 Monaten. Das heißt, man solle ihn nicht allzu lange lagern.
Das ökologische Bewusstsein geht so weit, dass die Korken des Cru Classé ohne die übliche abdichtende Silikon-Kautschuk-Beschichtung auskommen. Julmy betont, man verwende zu „hundert Prozent natürliche Korken der höchsten Qualität. Wir wollten nichts Synthetisches rund um den Verschluss“.
Das Weingut soll vollständig auf biologischen Anbau umgestellt und bis 2023 entsprechend zertifiziert sein. Die 37-Jährige ist überzeugt: „Wir haben keine Wahl. Wir müssen so arbeiten. Das eigene Team, die Zulieferer und Handelspartner, alle verstehen unser konsequentes Konzept“.
Ihr Ziel sei es, „den Mindset der Leute zu ändern“. Die Visionärin weiß, dass sie sich viel vorgenommen hat. Und dass die Revitalisierung des Weinguts einen langen Atem verlangt. Sie rechnet damit, dass der Umbau von Château Galoupet zwanzig Jahre brauchen wird.
© Holger Christmann