Wempe Glashütte

Herrin der Gezeiten

Mit der Iron Walker Tide von Wempe Glashütte lassen sich Ebbe und Flut vorhersagen. Wer die Uhr erwirbt, sollte dazu ein Buch von Hugh Aldersey-Williams lesen. Es erzählt, welch unbekannte Macht die Gezeiten über die Geschicke der Menschheit besitzen.

VON HOLGER CHRISTMANN
8. September 2021
Die Wempe Glashütte Iron Walker Tide sagt die Gezeiten voraus: Die Abkürzungen HT und LT stehen für High Tide (Flut) und Low Tide (Ebbe).

Wempe Glashütte hat zum zweiten Mal eine Gezeitenuhr herausgebracht. Jetzt lassen sich Ebbe und Flut auch von der sportlichen Edelstahluhr Iron Walker ablesen. Wozu man die Anzeige braucht? Das erfahren nicht nur Landratten nirgendwo besser als in Hugh Aldersey-Williams’ Buch Flut. Das wilde Leben der Gezeiten.

Eigentlich scheint die Sache klar. Die Gezeiten entstehen durch die Gravitation des Mondes. Der Erdtrabant zieht das Meer in seine Richtung und sorgt dafür, dass an den Küsten alle zwölf Stunden und 25 Minuten Hochwasser herrscht, alle zwölf Stunden und 25 Minuten Niedrigwasser. Doch wer glaubt, damit genug zu wissen, der irrt. In seinem Buch Flut. Das wilde Leben der Gezeiten (Carl Hanser Verlag, München, 2017) beschreibt der britische Wissenschaftsjournalist und Sachbuchautor Hugh Aldersey-Williams einen Segeltörn vor der südenglischen Isle of Wight. Seine Eltern hatten die Route sehr gut geplant und die Strömungen von Ebbe und Flut einberechnet. Trotzdem erlebte der Autor in der Meerenge The Solent, welche die Insel vom Festland trennt, dass das Meer unsichtbaren Gesetzen gehorcht und unberechenbar ist. Die Fließrichtung und Stärke der Gezeiten wird von der Form des Meeresbodens ebenso geprägt wie von der Weite oder Enge einer Seestraße. An engen Stellen kann das zurückweichende Wasser Geschwindigkeiten von bis zu vier Knoten erreichen und eine kleine Segelyacht unmerklich vom Kurs abbringen.

Genau das widerfuhr Hugh Aldersey-Williams bei der Einfahrt in die Meerenge von The Needles auf der Höhe des Hurst Point, einem weit ins Meer hinausragenden Stück Festland, wo sich das Wasser durch eine weniger als eine Meile breite Öffnung zwängt. Die Besatzung hatte eine Boje vor Augen, auf die sie zufuhr. Doch die Entfernung schien sich nicht zu verringern. Aldersey-Williams erkannte die Gefahr: „Die Strömung brachte uns nicht in den Kanal, sie drängte uns ostwärts, auf die unter der Wasseroberfläche lauernden Felsen zu.“ Nur um Haaresbreite entging die Gruppe in der Dunkelheit dem Zusammenprall mit der sechs Tonnen schweren Stahlboje. 

Dass auch Menschen an Land die Gezeiten unterschätzen, illustriert der Autor an einem schrecklichen Beispiel: „Fast jeden Sommer zerren die Gezeiten an meinem Norfolker Küstenabschnitt ein Kind aufs offene Meer hinaus.“ 

Dank verschraubter Kronen ist die Iron Walker Tide wasserdicht genug für den Einsatz am Strand.

Gezeitenströmungen behindern kleinere Schiffe. Der Wasserstand hat Einfluss auch auf große Schiffe. Deshalb muss jeder Kapitän, angefangen von dem, der einen Sportbootführerschein erwerben möchte, Aufgaben zur Gezeitenrechnung lösen können. Die Gezeiten wandern, oder, um im nautischen Bild zu bleiben, sie flottieren mit einem Versatz von 50 Minuten durch die Tage. Dieser Takt, daran erinnerte Wempe in seiner Pressemitteilung zur Iron Walker Tide, lässt sich nicht verinnerlichen, zumal an jeder Küste weitere Faktoren den Tidenwechsel bestimmen. Schifffahrtsämter veröffentlichen daher regionale Gezeitenkalender. Schiffe planen nach diesen Tabellen ihr Ein- und Auslaufen in und aus dem Hafen. 

Seit dem siebzehnten Jahrhundert versuchten Ingenieure und Physiker, die Gezeiten zu berechnen. Im 19. Jahrhundert gab es die ersten mechanischen Tidenuhren. Heute sind sie als Armbanduhren verfügbar. Die Wempe-Manufaktur hat ihre erste Tiden-Armbanduhr 2019 mit der Zeitmeister Sport Tiden Automatik auf den Markt gebracht. Der Künstler und Illustrator Friedrich-Karl Fäsing entwarf zu diesem Zweck eine Lünette, die den Wechsel der Gezeiten visualisiert. 2021 nun versehen die Glashütter ein weiteres Modell mit der Gezeitenanzeige: die Edelstahlsportuhr Iron Walker. 

Die Iron-Walker-Kollektion kam 2020 in beachtlichen sechzehn Versionen auf den Markt. Benannt ist sie nach den Stahlbauarbeitern auf den Wolkenkratzern New Yorks. Laut Kim-Eva Wempe ist das Gebäude des Wempe-Stores an New Yorks 5th Avenue von solchen Iron-Walkern errichtet worden. Zu erkennen ist die Uhr, welche die große Nachfrage nach sportlich-eleganten Zeitmessern bedient, an ihrem muskulösen Gehäuse mit integriertem Stahlband.

Die Menschen an den Küsten Englands wissen um die Macht der Gezeiten. Hugh Aldersey-Williams schildert sie in seinem Buch Flut. Das wilde Leben der Gezeiten. Foto: Diego Torres

Die innenliegende Tidenlünette lässt sich einfach bedienen: Über die blau markierte zweite Krone stellt der Träger die HT-Markierung (HT steht für High Tide) auf den Zeitpunkt des nächsten Wasserhöchststandes ein. Der Stundenzeiger zeigt dann an, wie viele Stunden bis zur nächsten Ebbe und Flut verbleiben. Der Zeitpunkt des tiefsten Wasserstands ist mit LT (Low Tide) gekennzeichnet. Für Höchststände ist die Uhr auch im Hinblick auf ihre Wasserdichtheit geeignet: Die Kronen der 42-Millimeter-Uhr sind verschraubt und damit bis zu einem Wasserdruck von 30 Bar belastbar.

Angetrieben wird die Iron Walker Tide vom bewährten Automatikwerk Eta 2892-A2. Sie ist als Chronometer zertifiziert, das heißt, sie hat die Ganggenauigkeitsprüfung der Sternwarte von Glashütte erfolgreich durchlaufen. Ihre Gangreserve beträgt nach Vollaufzug 50 Stunden. 

Noch einmal zurück zu Aldersey-Williams. Wie bedeutend das Naturphänomen der Gezeiten ist, daran lässt er keinen Zweifel: „Die Hälfte der Weltbevölkerung lebt in Küstengegenden, die den Gezeiten ausgesetzt sind, und dennoch achtet kaum einer von uns, die wir unseren Lebensunterhalt nicht mit dem Meer verdienen, auf ihre eigenartigen Rhythmen und verborgenen Triebkräfte. Deshalb verstehen wir auch nicht, warum der Vergnügungsdampfer am Sonntagmorgen nicht fährt, obwohl wir doch Wochenendpläne hatten. Wir verstehen nicht, warum der schöne Sandstrand, den wir noch von früher kennen, zu einem wenig einladenden Geröllfeld geworden ist. Wir verstehen nicht, dass ein einziger Gezeitenwechsel den Ausgang einer Seeschlacht oder eines Angriffs vom Meer aus entscheidend beeinflusst hat und dass wir deshalb so leben, wie wir heute leben, und die Sprache sprechen, die wir heute sprechen. Wir verstehen nicht, warum die Auster, deren Nährstoffzufuhr von den Gezeiten abhängt, früher einmal ein Arme-Leute-Essen war. Wir verstehen nicht, dass wir auf die beeindruckende Artenvielfalt der Gezeitenzone angewiesen sind, und wir vergessen allzu leicht, dass das Auf und Ab der großen Ozeane die Evolution selbst beeinflusst, weil es erst die Bedingungen dafür schuf, dass aus der richtigen Mischung chemischer Zutaten die ersten Organismen entstanden.“

Stärker kann ein Plädoyer dafür, dem Auf und Ab des Meeres mehr Beachtung zu schenken, kaum ausfallen. Die Wempe Iron Walker Tide leistet zu dieser Bewusstmachung ihren eigenen Beitrag. Ihr Preis beläuft sich auf attraktive 2995 Euro. Wer dann auf dem Sofa noch Hugh Aldersey-Williams’ Buch liest, spürt wohl noch mehr Besitzerstolz auf diese elegante und kraftvoll gestaltete Tool-Watch.

© Holger Christmann

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