Geheimrezept N°2

Ihr Herz schlägt vegan

Die Cinta Senese ist eine edle Schweinerasse aus der Toskana. Chefkoch Leonardo Spaccavento verrät FEATURE-Lesern, wie er aus ihrem bekömmlichen Fleisch zwei echte Genüsse kreiert.

VON LEONARDO SPACCAVENTO
20. September 2022
So wird die Cinta Senese zur Delikatesse: Lackierter Speck der Cinta Senese, Tomatenkompott, Püree aus Bergkartoffeln und Majoranblütenspitzen. Foto: Tenuta Perano

Siena, das Land der antiken Geschmäcker und der fleischlichen Genüsse, ist die Heimat einer einheimischen Schweinerasse mit rustikalem und wildem Charakter, die bis vor wenigen Jahren vom Aussterben bedroht war: die Cinta Senese. Ihren Namen verdankt sie zum einen ihrem Aussehen: Die schwarzen Borsten sind durchzogen von einem weißen Gürtel (Cinta) über Nacken, Brustkorb und Vorderhufen. Zum anderen ist die Cinta Senese nach dem Ort benannt, an dem sie vorkommt, der Montagnola Senese, einem Gebirgsrelief, das schon von den Etruskern besiedelt worden war und heute ein Naturschutzgebiet ist. 

Ein frühes historisches Zeugnis für die Existenz der Cinta Senese findet sich auf dem berühmten Freskenzyklus Ambrogio Lorenzettis im Palazzo Pubblico von Siena, Allegorie und Auswirkungen der Guten und der Schlechten Regierung (1338/39). In den Szenen der Auswirkungen der guten Regierung auf dem Land (1338/39) führt ein Bauer ein Schwein mit hellen Streifen rund um den Bauch an der Leine durch die Natur, während es nach Eßbarem sucht. Meine persönliche Inspiration ist jünger. Auf einer Wanderung durch unwegsames Gelände in Gaiole in Chianti stieß ich auf eine Herde dieser Schweinerasse, die auf einem endlosen, in die Berge eingebetteten Waldstück graste. Von diesem Moment an wurde mir klar, dass dieser wilde Ort für diese Tiere geschaffen war, nicht für mich; meine Aufgabe bestand darin, die Cinta Senese in meiner Küche zu verherrlichen – als Ausdruck des Respekts und der Dankbarkeit für dieses Land. 

Eine Szene aus Ambrogio Lorenzettis Fresko Auswirkungen der guten Regierung auf dem Land, 1338-1339, Sala della Pace, Palazzo Pubblico, Siena: Ein Bauer führt ein Schwein der Rasse Cinta Senese an der Leine durch die Natur. Zu erkennen ist das Schwein an seinem hellen Bauchgürtel. Foto: Palazzo Pubblico, Siena

In der freien Natur entwickelt die Cinta Senese ein rustikales Temperament. Sie ernährt sich von Eicheln, Haselnüssen, Blättern, Oliven und Getreide. Man könnte sagen: Das Herz dieses Schweins schlägt vegan. Die Nahrung verleiht dem Fleisch dieser Rasse außergewöhnliche Aromen und einen hohen Nährwert. Das Fleisch ist reich an Omega-3-Fettsäuren und gutem Cholesterin, zwei Elementen, die ihm eine einzigartige Textur und intensive Aromen verleihen. In der Region Siena wird die Cinta häufig in Form von Wurstwaren angeboten, die zwar köstlich sind, aber in dieser Form nicht ihr volles Potenzial entfalten. Ihr Bestes gibt die Cinta Senese in der Küche! 

In unserer Osteria biete ich zu jeder Jahreszeit einen zweiten Gang mit Cinta Senese an, wobei ich die Beilagen erneuere und das Fleisch immer reinhalte. Seine Aromen verstärke ich, indem ich ihm jedes Mal ein anderes „Kleid“ verpasse, wie bei einer Modenschau, bei der das Model der Protagonist ist und die Kleider je nach Jahreszeit wechseln. 

Gekocht wird immer vakuumverpackt. So bleiben Geschmack, Aroma, Nährstoffe und Vitamine, anders als beim herkömmlichen Kochen, erhalten. Außerdem werden die Aromen hervorgehoben und die Farben bewahrt.

Meine Lieblingsstücke sind Pancetta (Bauchspeck), Rippchen und Capocollo (Nacken). Ich verrate unser ältestes Rezept und das, welches wir jetzt auf der Speisekarte haben.

Capocollo di Cinta Senese mit Chianti-Erinnerungen, Schalotten unter Asche, Holunderblüten- und Bratapfelsorbet und Eichelkaffee. Foto: Tenuta Perano

Capocollo di Cinta Senese mit Chianti-Erinnerungen, Schalotten unter Asche, Holunderblüten- und Bratapfelsorbet, Eichelkaffee.

Wine & Food Pairing: Dazu empfehle ich einen Wein unserer Tenuta, Rialzi Chianti Classico Gran Selezione Tenuta Perano.

Protagonist unseres Gerichts ist das Chianti, vor allem aber seine bäuerliche Tradition, sein Gepäck, das die Region trotz der sich schnell verändernden Welt auch heute noch mit sich trägt. In der Vergangenheit gab es Bräuche oder vielmehr alltägliche Notwendigkeiten, die wir heute verloren haben. Man hatte mehr Zeit, und auch in der Küche spiegelte sich dies durch langsames Garen und milde Temperaturen wider. Aus dieser Tradition ergibt sich die Zubereitungsart des Capocollo di Cinta Senese. Unsere Schalotten werden im Valdarno erzeugt, dem Arnotal zwischen Florenz des Arezzo. Früher wurden sie auf dem offenen Feuer „in der Asche“ gedünstet oder in Essig eingelegt; heute werden sie mit beiden Garmethoden wieder angeboten, um ihr säuerliche Noten und Gerüche von Glut zu verleihen. 

Das Geheimnis
des rostigen Apfels

Steineichen und Eicheln, die im Spätsommer in unseren Wäldern geerntet, geröstet und gemahlen werden, verleihen Gerichten Würze und aromatische Komplexität. Es mag seltsam klingen, von Eichelkaffee zu hören, aber früher, als alles noch nützlich war und nichts weggeworfen wurde, zerrieb man Eicheln zu Mehl, um Brot zu backen, und röstete sie, um aus dem Mehl der geröstet Eicheln einen Kaffeeersatz herzustellen. Der Eichelkaffee wird gern als Ausdruck von Armut angesehen, aber er ist gesund, da er kein Koffein enthält.

Leonardo Spaccavento vor den Erzeugnissen des Weinguts, zu dem die Osteria gehört. Foto: Osteria Perano

Die letzte Komponente, mit der sich der Kreis schließt, ist das Holunderblütensorbet mit  Extrakt aus „rostigem Apfel“, der dem Gericht Frische verleiht. Fruchtige und pflanzliche Noten verbinden sich perfekt mit den anderen Zutaten. Der Holunderblütensirup wird durch Einweichen der Holunderblüten in einer Lösung aus Wasser und Zucker gewonnen, ein Prozess, der einen Monat dauert. Die Holunderblüten werden übrigens in der balsamischen Periode des Holunderstrauchs gepflückt, jener Zeit im späten Frühjahr, in der sich die Inhaltsstoffe voll entfalten. PS: Der Begriff „rostiger Apfel“ bezieht sich auf eine in der Valdichiana beheimatete Variante des Golden, die sich durch eine rostige Schale auszeichnet, was kein Mangel, sondern eine erkennbare Eigenschaft ist. Die Sonnenstrahlen sind für diese Färbung verantwortlich, da die auf den Äpfeln stehenden Tautropfen bei Kontakt mit der Sonnenwärme verbrennen und diesen „Rosteffekt“ verursachen.

Das Auge isst mit: Capocollo di Cinta Senese mit Chianti-Erinnerungen, Schalotten unter Asche, Holunderblüten- und Bratapfelsorbet und Eichelkaffee, in der Aufsicht. Foto: Tenuta Perano

Rezept für 4 Personen

500 g gepökelter Schweinenacken aus Cinta Senese
0,5 kg Schalotten
1 kg Leccine- und/oder Quercine-Eicheln
50 ml Holunderblütensirup
1 Apfel der Sorte Golden (möglichst rostfarben)

Der Capocollo:
Zwei ca. 4 cm hohe Capocollo-Scheiben nehmen, leicht salzen, in einen Kochbeutel legen und vakuumverpacken. Im Dampfbackofen bei 64 °C rund 18 Stunden lang garen.

Die Schalotten:
Die Schalotten im Ganzen mit der Schale direkt auf glühenden Kohlen grillen oder im Ofen garen, so dass die Außenseite verkohlt ist. Die geschälten Schalotten zu gleichen Teilen in rotem Essig und trockenem Rotwein marinieren. 

Der Eichelkaffee:
Sammeln Sie die Eicheln, schälen Sie sie und kochen Sie sie mehrmals in Wasser, bis sie ihr Tannin oder ihren bitteren Geschmack verloren haben. Legen Sie sie bei 200 °C auf ein Backblech, bis sie geröstet sind. Zerstampfen Sie die Eicheln zu Mehl. 

Das Sorbet:
Den Apfel mit dem Holunderblütensirup pürieren, die Mischung in eine Schüssel geben und in den Gefrierschrank stellen. Alle halbe Stunde die Mischung mit einem Schneebesen wenden, damit sie nicht zu einem Block gefriert. Wiederholen Sie den Vorgang, bis die Mischung die Konsistenz eines Sorbets hat.

Das Finish:
Den Capocollo in Würfel schneiden und in einer Pfanne mit Olivenöl leicht anbraten. Vor dem Servieren den Teller mit dem Mehl des Eichelkaffees bestreuen, den Capocollo, die Schalotten und einen Löffel Sorbet darauf verteilen.

Das zweite Rezept:

Lackierter Cinta-Senese-Speck, Tomatenkompott, Püree aus Bergkartoffeln, Majoranblütenspitzen.

Wine & Food Pairing: „Montesodi“ Chianti Rufina Castello di Nipozzano.

Rezept für 4 Personen

1 kg Schweinebauch aus Cinta Senese
ausgewogenes Salz: 700 g Salz + 300 g Zucker
0,5 kg Tomate
50 g Zucker
300 g Püree aus Bergkartoffeln
125 g Milch
150 g Butter
20 g Sojasauce oder fermentierte Hülsenfrüchte
5 g getrocknete und zerkleinerte Majoranknospen

Der Schweinebauch:
Marinieren Sie den Bauch ohne Schwarte 24 Stunden lang in reichlich Sale Bilanciato (Sale bilanciato ist eine Mischung aus Salz, Zucker und Kräutern. Man kann sie selbst herstellen, in dem man etwa 700 g Salz und 300 g Zucker mischt, und dazu 30 bis 50 g Kräuter hinzugibt, etwa Salbei, Rosmarin, Minze, Ingwer und etwas Orangen- oder Zitronenzeste). 

Nach 24 Stunden hat das Fleisch viel überschüssige Flüssigkeit verloren. Spülen Sie das Fleisch ab und vakuumieren Sie es. Bei 72°C 24 Stunden lang im Dampfbackofen garen, danach abkühlen lassen.

Das Tomatenkompott:
Die roten Tomaten in 4 Stücke schneiden und zusammen mit 50g Zucker in einem Topf auf kleiner Flamme einige Stunden kochen, Haut und Kerne entfernen. Die Tomaten anschließend pürieren.

Das Püree:
Die Kartoffeln in Salzwasser (8 g Salz pro Liter) kochen und absieben. Mit 1/3 Butter in einen Topf geben, die Butter mit einem Schneebesen unterheben. Die lauwarme Milch hinzufügen. Die restliche Butter zugeben und mit weißem Pfeffer würzen.

Die gepuffte Schwarte:
Die Schwarte einige Stunden lang kochen, bis sie halb durchsichtig und weich ist. Ausbreiten und im belüfteten Ofen bei 70/80°C 24 Stunden lang trocknen. Brechen Sie getrocknete Schwarte in kleine Stücke, die Sie zu gepufften Chips frittieren.

Das Finish:
Den Bauch in Würfel schneiden, mit Soja bestreichen und bei 180 °C 10 Minuten lang backen. Heiß mit Püree, Tomatenmarmelade und gepuffter Schwarte servieren und mit Majoran bestreuen.

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