Showtime

Das Beste aus Kunst
und Fotografie

In unserer neuen Rubrik Showtime weisen wir auf Kunst- und Kulturevents hin, die Sie nicht verpassen sollten. Diesmal sind es Ausstellungen von Modefotografie bis Malerei. Eine Auswahl für Connaisseure und solche, die es werden wollen.

VON HOLGER CHRISTMANN
3. August 2022
Jersey-Mode in rot und weiß, fotografiert 1969 von Charlotte March für die Zeitschrift „twen“. Farbfotografie, Cibachrome. Foto: Charlotte March, Deichtorhallen Hamburg/Sammlung Falckenberg

Regelmäßig stellen wir ab sofort Ausstellungen zu Kunst und Fotografie vor, die Sie nicht verpassen sollten. Hier unsere erste Auswahl für August und September: von den beschwingten Modefotografien der Charlotte March bis zu Winslow Homer, dem berühmtesten Maler, von dem Sie noch nie gehört haben.

Swinging Sixties:
Modefotografie von Charlotte March

Wer sich heute nach einem Zeitalter des Aufbruchs und der Befreiung zurücksehnt, der sieht sich am besten Filme und Fotos der 1960er Jahre an. Filme mit Michael Caine und Fotos von David Bailey oder von Charlotte March (1929–2005), deren Lebenswerk jetzt in der Hamburger Falckenberg wiederzuentdecken ist. Charlotte March fotografierte Mode und Models für Brigitte, Stern, Elle, Vogue Italia, Harper’s Bazaar und für twen, die deutsche Zeitschrift, die wie keine zweite das Selbstbewusstsein der  damaligen Teenager und Twentysomethings verstand.

Die Zeit der artigen Eleganz war vorbei. March animierte die Models, zu tanzen, zu rauchen, dominante oder spielerische Posen einzunehmen, Körpersprache einzusetzen, Freude zu zeigen – ein Kontrast auch zu den unnahbaren Mienen unserer Zeit.

Lustvoll und verspielt lichtete Charlotte March 1965 Bademode für die Zeitschrift „twen“ ab. Die Models waren Anita Pallenberg, Jean-Loup de Sauverzac, Jean-Claude Biacciana. Schwarzweißfotografie, Baryt. Foto: Charlotte March, Deichtorhallen Hamburg/Sammlung Falckenberg

Seit 2006 besitzt Harald Falckenberg, der Hamburger Kunstsammler, den Nachlass der Fotografin mit 30 000 Aufnahmen. Der unermüdliche Falckenberg sorgte für die Archivierung und Aufarbeitung des Werkes. Die Ausstellung zeigt mit rund 300 Werken einen Querschnitt durch alle Schaffensphasen der Künstlerin, von ihren frühen dokumentarischen Fotografien im Hamburg der 1950er Jahre über Aufnahmen von ihren Aufenthalten auf der Insel Ischia bis hin zu den späteren internationalen Mode- und Werbeaufträgen.

Charlotte March: Haus des Landgrafen Heinrich von Hessen-Kassel alias Enrico d’Assia, Ischia, 1953, Schwarzweißfotografie, Baryt, 23 x 24 cm. Foto: Charlotte March, Deichtorhallen Hamburg/Sammlung Falckenberg

Hinter manchen Bildern steckt mehr, als auf den ersten Blick zu sehen ist. Ein Foto von 1953 zeigt einen Mann und eine Frau auf einer Terrasse auf Ischia. Sie gehört zur Villa Falconara des Malers Heinrich von Hessen-Kassel (als Künstler war er unter seinem italienischen Namen Enrico d’Assia bekannt). Heinrich, ein Sohn Mafaldas von Savoyen, liebte Italien, schuf Bühnenbilder für die Mailänder Scala und verkehrte auf Ischia, einer Insel, auf der man damals auch Schriftsteller wie W.H. Auden, Alberto Moravia und Elsa Morante traf, mit dem Modeschöpfer Balenciaga. Die Models stehen auf dem Bild im Vordergrund. Die Geschichte der Shooting-Location ist mindestens genauso interessant.

Charlotte March. Deichtorhallen. Sammlung Falckenberg. Phoenix Fabrikhallen. Wilstorfer Straße 71, Tor 2, Hamburg-Harburg. Bis 4. September.

Ikonen sächsischen Elbbewusstseins:
Bellotto in Dresden

Den venezianischen Maler Canaletto gab es zweimal. Einmal war da Antonio Canal, genannt Canaletto (1697 bis 1768), einmal sein Neffe Bernardo Bellotto (1722 bis 1781), ebenfalls mit Canaletto. Beide machten sich mit Stadtansichten Venedigs einen Namen. Während die besten Kunden des Onkels Antonio unter Italienliebhabern im englischen Adel zu finden waren, was dazu führte, dass der Ältere zehn Jahre in England verbrachte, bekam der 25-jährige Bernardo ein Angebot des Kurfürsten von Sachsen, Friedrich August II., und seines Premierministers, des Grafen Heinrich von Brühl, und zog für zehn Jahre nach Dresden, gefolgt von Ausflügen nach München und Wien, der Rückkehr nach Dresden und einer längeren Schaffensphase am Hof des polnischen Königs Stanislaw II. August Poniatowski, dem er bei der Modernisierung des Warschauer Schlosses half.

Der berühmte Canaletto-Blick auf Dresden: Bernardo Bellotto, Dresden vom rechten Elbufer unterhalb der Augustusbrücke, 1748. Foto: Gemäldegalerie Alte Meister

Keine Stadt ist bis heute so stolz auf diesen Maler wie Dresden. Und so ließen es sich die Staatlichen Kunstsammlungen nicht nehmen, den 300. Geburtstag des Venezianers mit einer großen Retrospektive an der Elbe zu feiern. Bellotto schuf hier Bilder, die Ikonen der Dresdner Identität wurden, so das Gemälde Dresden vom rechten Elbufer unterhalb der Augustusbrücke (1748), bekannt als der berühmte Canaletto-Ausblick, den jeder Besucher einmal genießen möchte. Die 36 Dresdner Gemälde – die größte Sammlung weltweit – werden ergänzt um Leihgaben aus dem Königlichen Schloss in Warschau, der National Gallery of Art in Washington, dem J. Paul Getty Museum in Los Angeles, der National Gallery of Ireland in Dublin, dem Kunsthistorischen Museum Wien und der National Gallery in London. Zu sehen sind auch Bellottos Phantasie-Architekturlandschaften, die sogenannten Capricci. Lauter Gründe, bis Ende August ein Ticket nach Dresden zu buchen. 

Zauber des Realen. Bernardo Bellotto am sächsischen Hof, Dresden, Zwinger. Bis 28. August.

Winslow Homer und die Macht der Natur

Ein Mann treibt einsam auf einem führungslosen Boot durch bedrohliche Wellen, ein Sturm hat den Mast seines Bootes zerbrochen, drei Haie umkreisen es in Erwartung der Beute. Nur in der Ferne macht ein Schoner Hoffnung auf Rettung. Gulf Stream heißt das Gemälde, das der amerikanische Maler Winslow Homer 1899 fertigstellte. Homer hatte zunächst als eine Art Künstler-Korrespondent für Harpers Weekly den amerikanischen Bürgerkrieg in einprägsamen Bildern festgehalten, bevor er zu Hause in Maine und auf Reisen die Kraft des Meeres, und das Verhältnis von Mensch und Natur zu seinen großen Themen machte. Mehrere Winter verbrachte er in Florida, Kuba und auf den Bahamas und schuf dort meisterhafte Aquarelle. 

Schönheit und Gefahren des Meeres faszinierten den amerikanischen Maler Winslow Homer. Der Golfstrom ist eines seiner bekannten Werke. 1899, überarbeitet bis 1906, Öl auf Leinwand, 71,4 x 124,8 cm, The Metropolitan Museum of Art, New York.

In den Vereinigten Staaten kennt jedes Kind Winslow Homer (1836–1910), in Europa ist ihm noch nie eine Ausstellung gewidmet worden. Die National Gallery in London holt das jetzt in Kooperation mit dem New Yorker Metropolitan Museum nach. Fünfzig Werke treten dafür die Reise über den Atlantik an. Zu sehen sind auch Aquarelle von den Bahamas. 

Auf den Bahamas malte Winslow Homer einige seiner schönsten Aquarelle: Nassau, 1899, Wasserfarbe und Graphit auf auf Off-White-Papier, 37.8 x 54.3 cm, The Metropolitan Museum of Art, New York

Der Maler hatte einen Sinn für Symbolik. Im Krieg gegen Spanien hatten die Vereinigten Staaten die europäische Kolonialmacht aus Kuba und von den Philippinen vertrieben – jene Kolonialmacht, die 400 Jahre zuvor auch die Bahamas besiedelt hatte. Späten wurden die Bahamas britische Kolonie. Als Erinnerung an die Kriege von einst baut Homer ausrangierte Kanonen in sein Bild ein. Zufall oder nicht: Unten links gibt der Künstler an, das Aquarell am 1. Januar 1899 gemalt zu haben, dem Tag, an dem gemäß des Pariser Vertrags Spanien die Kontrolle über Kuba abgab und die Vereinigten Staaten die Insel besetzten. 

Winslow Homer: Force of Nature, London, National Gallery. 10. September 2022 bis 8. Januar 2023

John Singer Sargent
und Spanien

John Singer Sargent (1856–1925) war der gefragteste und bestbezahlte Porträt- und Gesellschaftsmaler seiner Zeit. Aufgrund seiner amerikanischen Eltern wird er stets als amerikanischer Künstler bezeichnet. Geboren wurde er aber in Florenz, und er lebte vor allem in Paris und London. Seine Auftraggeber kamen zunächst vor allem aus der europäischen Oberschicht. Seine Vorbilder waren Vélazquez, Manet und sein französischer Lehrer Émile-Auguste Carolus-Duran. Singer Sargent liebte die Lust an subtiler Provokation. Auf seinem Porträt der Pariser Bankiersgattin Virginie Gautreau (Madame X) blickt die Dargestellte zur Seite und wendet dem Betrachter die weiße Haut ihres Halses und ihres tief ausgeschnittenen Dekolletés zu. Lady Agnew of Lochnaw sitzt lässig in ihrer Bergère und fixiert den Betrachter mit einer nicht alltäglichen Intensität. Den bekannten Pariser Augenarzt Dr. Samuel Pozzi stellte Singer Sargent sehr privat im roten Morgenrock und vor einem rotem Vorhang dar. 

John Singer Sargent: La Carmencita, 1890, Öl auf Leinwand, 229 x 140 cm. Musée d’Orsay, Paris. Foto: Gérard Blot, RMN

Sargent war es, wie seine Eltern, gewohnt, viel zu reisen. Er reiste durch Europa und entwickelte eine ausgeprägte Vorliebe für Spanien. Die National Gallery in Washington D.C. widmet seiner Spanien-Begeisterung nun erstmals eine große Ausstellung. Die Kuratoren werteten erstmals das reichhaltige Bildmaterial aus, das der Künstler von der Iberischen Halbinsel mitbrachte – über 225 Ölgemälde, Aquarelle und Zeichnungen, Skizzenbücher, Sammelalben und fast 200 Fotografien, die er gesammelt, vielleicht selbst aufgenommen hatte.

John Singer Sargent: Unter den Oliven, 1908, Öl auf Leinwand 55,88 x 71.12 cm, Cedarhurst Center for the Arts, Mount Vernon, Illinois. Foto: Daniel Overturf

Während sieben ausgedehnter Aufenthalte zwischen 1879 und 1912 stellte der Maler atemberaubende Landschaftsansichten, detaillierte architektonische Studien, lokale Völker und Traditionen, Szenen des Flamenco-Tanzes und alltägliche Momente des spanischen Roma-Lebens dar. Meisterhaft fing er dabei Licht und Atmosphäre ein. Außerdem kopierte er Gemälde, vor allem von Diego Velázquez (1599–1660), in Spaniens Museen, und er war von der Kunst in Kirchen fasziniert, die seine späteren Wandgemälde für amerikanische Institutionen wie die Boston Public Library beeinflusste. 

Sargent und Spanien. National Gallery of Art, Washington D.C., 2. Oktober 2022 bis 2. Januar 2023; Kunstmuseen von San Francisco, Legion of Honor, 11. Februar bis 14. Mai 2023

© Holger Christmann