Editorial

Ist der Winter
noch zu retten?

Lockdown in Österreich und noch ein Winter mit Karl Lauterbach? Da hilft nur die Booster-Impfung. Wenn es doch so einfach wäre. Außerdem: Viel Lob für den Start unseres Online-Magazins. Und noch ein Hinweis in eigener Sache.

VON HOLGER CHRISTMANN
18. November 2021
Noch einmal wollen wir uns Skitage wie diese nicht nehmen lassen. Slim Aarons: Snowmass Picnic, 1967.

Anfang August haben wir dieses Magazin lanciert. Die ersten Reaktionen waren ermutigend. Leser würdigten das Niveau der Beiträge und das elegante Design der Seite. Der Geschäftsführer eines deutschen Großverlags lobte den „bunten Reigen von interessanten Themen“. Der CEO eines großen Unternehmens empfand die Lektüre als erfrischenden „Urlaub vom Mainstream“. Wir möchten uns schon jetzt bei allen für ihr Interesse bedanken. Wir wollten Themen aufgreifen und Menschen vorstellen, für die sich eine weltgewandte Leserschaft interessiert. Das scheint uns zu gelingen. Im nächsten Jahr möchten wir auch Veranstaltungen für unsere Community organisieren. Dazu mehr im neuen Jahr.

Nun aber ein Blick auf die Aktualität: Sind Sie schon gespannt auf den nächsten Winter unseres Missvergnügens? Auf zermürbende TV-Abende mit Karl Lauterbach und Melanie Brinkmann und der Drohung eines neuen Lockdowns? Österreich hat gerade einen solchen verhängt, vermutlich aber eher, um die Skisaison zu retten als um sie abzublasen.

Plötzlich hat es das Kanzleramt eilig, die Menschen zur Booster-Impfung zu bewegen. Tatsächlich ist sie jedem zu empfehlen, der mithelfen möchte, die vierte Welle der Pandemie und des medialen Trübsinns zu brechen. Wir haben uns für diesen Schritt entschieden und erhielten auch einen Termin, aber erst für kurz vor Weihnachten. Das liegt daran, dass die sogenannte Ständige Impfkommission rät, die Auffrischungsimpfung sechs Monate nach der zweiten Impfung zu empfangen. Wer einen Tag zu früh kommt, den bestraft das Leben. Wir kennen selbst Booster-Willige, die wieder nach Hause geschickt wurden, weil sie noch nicht an der Reihe waren. Wir fragen uns, wie die amtlichen Impfabstände mit dem Ziel vereinbar sind, möglichst vielen Menschen bis Ende Dezember den erlösenden dritten Piks zu verabreichen? Denn bis dahin dürfen ja nur jene geimpft werden, die ihre zweite Dosis bis Ende Juni bekamen. Alle anderen müssen sich bis ins nächste Jahr gedulden. Laut Statistik waren Ende Juni rund 30 Millionen Menschen doppelt geimpft. Daher können bis Ende Dezember auch nur ebensoviele Menschen die Drittimpfung empfangen. Das könnte zu wenig sein, um die vierte Welle zu brechen. So verheddern sich Regierung, Institute und Experten einmal mehr in einem Gestrüpp aus widersprüchlichen Zielen und Regeln.

Wir wollen uns und unseren Lesern jedenfalls die Vorfreude auf den Winter bewahren. Wir überzeugt sind, dass die allermeisten Menschen sich in der Pandemie verantwortungsvoll verhalten und es verdienen, den Winter noch anders als in Furcht zu verbringen. Deshalb haben wir auch über dieses Editorial wieder eine Aufnahme des Fotografen Slim Aarons gestellt. Sie erinnert uns an den Winter, wie er er einmal war und wie er schon bald wieder sein sollte.

Slim Aarons zeigt uns Menschen im Schnee. Wir schreiben das Jahr 1967. Die Szene spielt im Skigebiet Snowmass in Aspen/Colorado, das gerade eröffnet hat. Aus diesem Anlass fand auf dem Berg ein Picknick statt, an dem prominente Leute teilnahmen: Howard Head, Chef der Head Ski Company, Thomas Watson Jr., Päsident von IBM, und seine Frau Olive. Der norwegische Olympia-Ski-Athlet Stein Eriksen und Armando Orsini, Betreiber des New Yorker Kult-Restaurants Orsini‘s, waren auch dabei. 

Aarons kannte den Ernst des Lebens. Er war als Kriegsfotograf im Zweiten Weltkrieg, dokumentierte Gefechte in Nordafrika und im Nahen Osten, erlebte die Befreiung Roms und wurde mit dem Verwundetenabzeichen Purple Heart ausgezeichnet. Nach dem Krieg wollte er keine Schlachtfelder mehr sehen. Als ihn das Armee-Magazin Yanks für den Korea-Krieg anheuern wollte, antwortete er: „Der einzige Strand, an dem ich noch landen möchte, ist einer geschmückt mit schönen Mädchen in der ruhigen Sonne. Strände sind gemacht, um auf ihnen zu spazieren und an ihnen zu liegen, nicht für Invasionen.“ Später sagte er über sein zweites Leben, er wolle nur noch, „schöne Menschen an schönen Orten beim Tun schöner Dinge“ fotografieren.

Die Aufnahme weisst uns nebenbei darauf hin, dass man ein Ski-Picknick auch an der frischen Luft organisieren kann, wenn man die volle Skihütte meiden möchte. Wer für den Transport der Delikatessen keinen Hubschrauber (Co2-Fußabdruck!) mieten möchte, kann die Champagner-Flaschen und sonstiges Zubehör auf mehrere Rucksäcke verteilen. Natürlich sollte der Müll wieder ins Tal gebracht werden. Vielleicht fehlt uns manchmal die Phantasie, Dinge anders zu machen, etwa, indem wir ein stilvolles Picknick im Schnee organisieren.

Wir brauchten eine Menge Phantasie, als wir im August einen Brief unseres Markenanwalts öffneten, was uns zu einem Hinweis in eigener Sache führt. Unser Anwalt übermittelte uns die Bedenken von Bauer Media, dass unser damaliger Titel CloseUp zur Verwechslungsgefahr mit dem Klatschblatt Closer einlade. Mit dem Schreiben forderte uns das Verlagshaus auf, unseren Titel aufzugeben. Den hatten wir im April über genannten Fachanwalt beim Deutschen Marken- und Patentamt in München anmelden lassen. Auch eine amtliche Urkunde über die erfolgreiche Eintragung der Marke hielten wir bereits in Händen.

Wir fanden die Forderung unbegründet. Während Closer ein schlichter Komparativ ist, handelt es sich bei dem Ausdruck Close-Up um einen seit über hundert Jahren existierenden Terminus aus der Welt des Films und der Fotografie. Seine Anfänge liegen in der Zeit um 1900. Damals entdecken die ersten Filmemacher den Reiz der Nahaufnahme. Die Kamerafahrt auf das Gesicht des Schauspielers ließ Mimik und Gefühle des Darstellers erkennen und erhöhte die Anteilnahme beim Publikum. Die ersten Filmemacher, die Close-Ups einsetzten, waren seit 1900 Regisseure wie George Albert Smith und D.W. Griffith. Kritiker fanden die Close-Ups erst zu aufdringlich. Das Publikum wurde jedoch geradezu süchtig nach der Großaufnahme des Gesichts, weil sie Emotionen ganz anders sichtbar macht, als das im Theater möglich wäre. 1922 berichtete die New York Times von einer wahren Close-Up-Mania im Kino. 

Um dieselbe Zeit etablierte sich auch in der Portrtätfotografie der Close-Up. In Film und Fotografie ist er seither ein beliebtes Werkzeug. Man denke an Sergio Leones Italo-Western, in denen der Kameramann lustvoll die angespannten Gesichter der Duellanten ins Visier nahm. In den 1920er Jahren erschien fünf Jahre lang ein intellektuelles Filmmagazin, das nach dieser Kameraeinstellung benannt war. 

Elizabeth Peyton: Iza Genzken (1980). Ein Werk aus der sehenswerten Ausstellung Close-Up in der Fondation Beyeler in Basel. Foto: Fondation Beyeler

Gerade läuft in der Fondation Beyeler in Basel eine sehenswerte Ausstellung mit dem Namen Close-Up. Sie versammelt Werke von Meisterinnen der Porträtkunst seit dem Impressionismus: Berthe Morisot, Mary Cassatt, Paula Modersohn-Becker, Lotte Laserstein, Frida Kahlo, Alice Neel, Marlene Dumas, Cindy Sherman, Elizabeth Peyton. Allein die sensiblen Porträts der in den letzten Jahren wiederentdeckten Lotte Laserstein, einer begnadeten Porträtistin aus der Zeit der Weimarer Republik, lohnen den Besuch. Bis zum 4. Januar 2022 ist die Schau noch zu sehen.

Der Name war passend für unser Magazin, zumal für einen Close-Up eine Eigenschaft charakteristisch ist, die sinnbildlich für unseren journalistischen Anspruch ist. Eine Nahaufnahme findet in der Regel im Austausch und im Einvernehmen mit dem Porträtierten statt. Damit unterscheiden wir uns von der Yellow Press, die Menschen gern ohne deren Wissen aus Gebüschen heraus knipsen.

Wir hätten den Fall gern von Gerichten klären lassen und waren überzeugt, das Recht auf unserer Seite zu haben. Allerdings dauert ein solches Verfahren sehr lange. Uns war es am Ende wichtiger, schnell Rechtssicherheit zu haben. 

Kurzum: Wir entschieden uns für unseren Plan B, einen Namen, den wir bereits in der Schublade hatten. Der Begriff FEATURE hat viele Bedeutungen, er steht aber in jedem Fall für hintergründige Berichterstattung, und die wollen wir unseren Lesern bieten. 

Nun ist es Zeit, nach vorn zu blicken, mit Interview und gut recherchierten Stories über Macher, Moden, Themen unserer Zeit und Entrepreneure. Zum Start des Films House of Gucci (Filmstart 2. Dezember) erzählen wir die Geschichte des Modehauses Gucci. Aus einem Lederwarengeschäft erschuf eine  Florentiner Familie eine Weltmarke, die Royals und Filmstars und die Jeunesse Dorée der sechziger und siebziger Jahre begeisterte. 

In den achtziger Jahren folgte eine Phase, als die Familienmitglieder sich mit Intrigen und Prozessen bekämpften. Die Familie, die so viel erreicht hatte, musste erst entmachtet werden, um der Marke einen Neustart zu ermöglichen. Der allerdings fiel fulminant aus. Heute ist Gucci eines der wertvollsten und begehrtesten Luxuslabels der Welt. 

Wie lernen daraus: Auch wir wollen all unsere Energie in die Qualität von FEATURE stecken. Wir hoffen, dass Sie uns auf diesem Weg gewogen bleiben.

© Holger Christmann