FEATURE: Sie sagen, Ihre Architektur folge Fiktionen. Wie hat man sich das vorzustellen?
Ole Scheeren: Die Frage, die ich mir stelle, lautet: Muss Architektur immer funktional sein? Sollten wir nicht auch darüber nachdenken, welche Möglichkeiten Architektur schaffen kann? Welche fiktionale Kapazität Gebäude besitzen? Wie wollen wir uns unsere Leben in diesen Gebäuden vorstellen: die Dinge, die dort stattfinden, die emotionalen Qualitäten der Räume? Das ist ungeheuer wichtig, um eine echte Lebensqualität zu schaffen. Daraus entwickeln sich Ansätze, Bautypen wie das Hochhaus neu zu denken.
FEATURE: Das Projekt, mit dem Sie weltbekannt wurden, war der CCTV-Tower in Peking. Die abgeschrägten L-förmigen Türme, die sich zu einem Kreislauf verbinden, sind zum Wahrzeichen des modernen Chinas geworden. Wie kamen Sie auf die Idee?
Ole Scheeren: Wir haben uns angesehen, wie die Organisation des Gebäudes funktioniert. Die typische Bauformel einer Medienorganisation ist der Campus. Oft genug sind die Büros in der Stadt verteilt, so dass sich eine unglaubliche Zergliederung der Arbeitsprozesse ergibt. Die Leute wissen dann oft nicht, wer in ihrem Unternehmen noch so alles arbeitet und wie alle Abteilungen voneinander abhängen. Es war sowohl vom Ablauf der Arbeit als auch von den sozialen Konsequenzen her interessant, diese Arbeitsprozesse zusammenzubringen und einen Kreislauf der Kooperation in Gang zu setzen. Wir entwarfen keine Einbahnstraße in den Himmel, sondern nahmen die Nadel des Hochhauses und bogen sie in sich selbst zurück. Wir schufen eine Schlaufe miteinander verbundener Teile und stellten damit eine Zirkulation der Funktionalität, aber natürlich auch der sozialen Verbindung innerhalb des Gebäudes her.
FEATURE: Verfolgen Sie nach der Eröffnung eines Gebäudes, wie es sich in der Praxis bewährt?
Ole Scheeren: Das ist ja das Interessante an unserer Arbeit, die Gebäude in der Realität zu sehen. Dafür werden sie gebaut. Wir übergeben sie dem Leben. Bei The Interlace in Singapur war der Gedanke: Wie können wir eine Wohnanlage schaffen, die hochverdichtetes Leben in der Stadt auf eine ganz andere Art definiert, nicht in isolierten Türmen, sondern als miteinander verwobene Gemeinschaftsstruktur. Uns ging es darum, die Privatheit der einzelnen Wohnungen zu erhöhen, denn die Distanz zwischen den gegenüberliegenden Gebäuden ist in diesem Fall sehr viel größer als es bei Türmen der Fall gewesen wäre. Auf der einen Seite haben wir die Qualität der Privatsphäre erhöht, wir haben aber auch Kommunalität geschaffen, Orte für das Zusammensein. Das Projekt ist eine Staffelung unterschiedlicher Zonen, die vom sehr gemeinschaftlichen zum halb-gemeinschaftlichen und halb-privaten ins ganz Private übergehen. Dadurch hat man die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, wie man gerade an der Gemeinschaft teilnehmen will, ob man alleine sein will oder nicht. Solche Möglichkeiten zu schaffen, darum geht es uns. Außerdem haben wir uns gefragt: Wie können wir Naturräume als Teil der Architektur gestalten, nicht als dekoratives Element, sondern als integrativen Teil des Gebäudes: So haben wir in The Interlace Natur und Landschaft integriert.