Politik

„Die Schlüsselfiguren
sind Putins Oligarchen“

FEATURE-Publisher Holger Christmann sprach für die Tageszeitung WELT mit Bill Browder. Der einst größte ausländische Investor in Russland organisierte scharfe Sanktionen der Vereinigten Staaten gegen Russen, die in Korruption und Menschenrechtsverletzungen verstrickt sind. In unserem Exklusiv-Gespräch erläutert er, wie Wladimir Putin von Aggressionen gegen den Westen abzuhalten ist.

VON HOLGER CHRISTMANN
16. Februar 2022
Bill Browder. Foto: Harry Borden/Getty Images

Mehr als 100 000 Soldaten und schweres militärisches Gerät hat Russland an die Grenze zur Ukraine verlegt. Die britische Außenministerin Elizabeth Truss drohte, russische Oligarchen in London mit Sanktionen zu belegen, falls Russlands Armee die Ukraine angreift. Solche Maßnahmen fordert auch William Browder. Der Finanzmanager war in den 1990er Jahren Mitbegründer und CEO des größten ausländischen Investmentfonds in Russland. Hermitage Capital verwaltete bis zu 4,5 Milliarden Dollar Anlagevermögen. Browder deckte diverse Korruptionsfälle in russischen Großkonzernen auf. 2005 wurde ihm die Einreise nach Moskau verweigert. Kurz darauf entdeckte sein Mitarbeiter Sergej Magnitzki einen weiteren Korruptionsfall, in den staatliche Stellen verwickelt warn. Er wurde verhaftet und starb 2009 in einem Moskauer Untersuchungsgefängnis starb. Seither kämpft Bill Browder gegen Korruption und Menschenrechtsverbrechen in Russland.

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Auf seine Initiative hin beschloss der amerikanische Kongress 2012 den Magnitzki Act, ein Gesetz, das es erlaubt, Vermögen krimineller Individuen in Russland einzufrieren und ihnen die Einreise in die Vereinigten Staaten zu verbieten. Andere Länder verabschiedeten ähnliche Bestimmungen. Russland wirkt seit Jahren über inoffizielle Kanäle darauf hin, dass Amerika das Magnitzki-Gesetz zurücknimmt  – zuletzt 2016 in einem ominösen Gespräch im New Yorker Trump Tower zwischen der russischen Anwältin Natalia Wesselnitzkaja und Donald Trump Jr..

Außerdem gehen bei Interpol und bei europäischen Staatsanwälten regelmäßig Gesuche ein, die Bill Browders Auslieferung an Russland fordern. Auf einem Gipfeltreffen mit Präsident Donald Trump in Helsinki bat Wladimir Putin 2018 öffentlich, dass Ermittler Browder in Russland befragen dürfen. Im Exklusivinterview mit FEATURE sagt der gebürtige Amerikaner mit britischem Pass: „Die Schlüsselfiguren sind Putins Oligarchen“. Er fordert Deutschland und die EU auf, angesichts der Bedrohung der Ukraine den Besitz einer Auswahl reicher Russen ins Visier zu nehmen, um einen Krieg zu verhindern. Wer den Reichtum von Oligarchen einfriere, die das Vermögen Wladimir Putin managten, der treffe aus den russischen Präsidenten persönlich – und halte ihn womöglich von weiteren Aggressionen gegen die Ukraine ab, sagt Browder im Interview mit FEATURE. Eine mögliche Auslieferung nach Moskau bezeichnet der Investor und Menschenrechtler im FEATURE-Interview als seinen „sicheren Tod“.

FEATURE: Was denken Sie, wenn Sie die massive russische Militärpräsenz an der ukrainischen und weißrussischen Grenze sehen?

Bill Browder: Sie stellt das größte Risiko für die globale Stabilität seit dem Zweiten Weltkrieg dar. Ich habe Angst um die Menschen der Ukraine und um uns alle, die wir als nächstes an der Reihe sind, wenn es Putin gelingt, in die Ukraine einzumarschieren und sie einzunehmen.

FEATURE: Besteht die Gefahr eines Krieges, oder blufft der russische Präsident? 

Bill Browder: Man stellt nicht 130 000 Soldaten, Ausrüstung und Blutbanken nur zum Spaß an der ukrainischen Grenze auf. Er hat sicher Absichten, ob es ein Bluff ist, um Konzessionen zu erpressen oder ob er das Ziel hat, über die Grenze zu rollen. Wir wissen es nicht wirklich, aber wir dürfen es nicht auf die leichte Schulter nehmen, wenn er Kapazitäten aufbaut, die es ihm erlauben, die Ukraine anzugreifen, speziell nachdem er das schon in Georgien getan hat und die Krim und die Ostukraine eingenommen hat.

FEATURE: Die russische Regierung spricht von legitimen Sicherheitsinteressen. Wladimir Putin kritisiert, und das ist ja ein Fakt, dass sich die Nato nach Osten in die einstmals russische Einflusssphäre ausgedehnt hat. 

Bill Browder: Es gehört zum russischen Stil, auf andere zu projizieren, was sie selbst tun. Sie verdrehen die Situation. Russland ist seit fünfzehn Jahren eine Bedrohung für die Welt. Die Invasion in Georgien, die Annexion der Krim, das Abschießen eines Passagierflugzeugs über der Ostukraine, die Ermordung von Dissidenten im Ausland, der Betrug bei den Olympischen Spielen, das Hacken von Wahlen in verschiedenen Ländern, all das zeigt uns, dass wir es sind, die unsere Prinzipien und Interessen verteidigen müssen, nicht umgekehrt.

FEATURE: Warum sollte Putin überhaupt einen Krieg wollen. Was hätte er davon?

Bill Browder: Der Hauptgrund für die Geschehnisse in Russland ist, dass Putin um seinen Machterhalt besorgt ist. Auch wenn Russland keine Demokratie ist, muss er verhindern, dass die Menschen sich gegen ihn auflehnen. Die Leute haben viele Gründe, unzufrieden zu sein. Die Wirtschaft ist in schlechtem Zustand, er ist seit zwanzig Jahren an der Macht, und er gibt die Schuld an allen Problemen Russlands seinen Vorgängern und Fremdeinflüssen. Jedes Mal, wenn er Probleme mit seiner Wählerschaft hat, lenkt er die Aufmerksamkeit durch einen Krieg in eine andere Richtung. Seine ganze Präsidentschaft basierte auf einem Krieg. Er wurde Präsident, nachdem er den Krieg in Tschetschenien begonnen hatte. Jedes Mal, wenn seine Zustimmungsraten sanken, startete er einen neuen Krieg. Immer stiegen danach seine Zustimmungswerte.

FEATURE: Die Ukraine ist nicht in der Nato – und der Westen wird das Land nicht verteidigen. Wie will der Westen Putin überhaupt von einem Krieg abhalten?

Bill Browder: Putin hat eine Achillesferse, die im Westen unterschätzt wird. Er hat dem russischen Staat in den letzten zwanzig Jahren eine enorme Menge Geld gestohlen. Er ist wahrscheinlich einer der reichsten Männer der Welt. Dieses Geld bewahrt er nicht in eigenem Namen auf. Wenn er das täte, könnten Leute beweisen, dass er kein Staatsmann, sondern ein Krimineller ist. Er vertraut sein Vermögen Menschen an, denen er vertraut. Ich nenne sie Oligarchen-Treuhänder. Sie bewahren dieses Geld nicht in Russland auf. Denn so schnell sie es gestohlen haben, kann es ihnen dort von anderen gestohlen werden. Sie bewahren es im Westen auf: auf Schweizer Banken, in Londoner Immobilien, in Villen an der Côte d’Azur oder in Deutschland. Wir haben einen Weg, direkt an Putin heranzukommen, indem wir diesem Geld nachgehen.

FEATURE: Das Magnitzki-Gesetz, das in vielen Ländern der Erde in Kraft ist und das nach meinem russischen Anwalt benannt ist, der in Untersuchungshaft starb, nachdem er einen massiven Steuerbetrug aufgedeckt hatte …

Bill Browder: Genau. ist in vielen westlichen Ländern in Kraft und erlaubt westlichen Regierungen, Vermögenswerte einzufrieren und Menschen, die in Korruption und Menschenrechtsverstöße verwickelt sind, Visa zu verweigern. Der Magnitzki Act kann genutzt werden, um diejenigen ins Visier zu nehmen, die sich um Putins Geld kümmern. Mein Vorschlag lautet, eine Liste der rund fünfzig wichtigsten Oligarchen zu erstellen und ihre Vermögenswerte einzufrieren. Nachdem dieser Vorschlag in Großbritannien Interesse geweckt hat, kam Putin jetzt aus seinem Schneckenhaus und beschwerte sich, wie unfair alle mit Russland umgehen. Ich weiß besser als jeder andere, wie der russische Präsident mit Konflikten umgeht. Ich weiß, dass Geld etwas ist, das sein Kalkül ändert.

Die Yacht Graceful verließ Anfang Februar 2022 fluchtartig die Werft Blohm & Voss in Hamburg, womöglich aus Furcht vor westlichen Sanktionen. Sie gilt als Wladimir Putins Privatyacht. Foto: Steffen Mayer, Superyachtblog

FEATURE: Es dürfte nicht leicht sein, zu beweisen, welche Vermögenswerte von Oligarchen womöglich Wladimir Putin zuzuordnen sind.

Bill Browder: Über den Magnitzki Act muss man nicht beweisen, dass jemand Putins Geld managt. Man muss nachweisen, dass jemand sein Geld durch Korruption auf höchster Ebene verdient. Die Panama-Papers und andere Dokumente bieten hierauf genügend Hinweise. Auch über Alexej Nawalnys Anti-Korruptionsstiftung kam vieles ans Licht – von Putins milliardenschweren Palast am Schwarzen Meer bis zum Konto des Cellisten Sergej Roldugin, der Taufpate einer Tochter Putins ist. Er verfügt über Milliarden, die er nicht mit Cellospielen verdient hat.

„Die Insel Jersey
kann den Lauf
der Geschichte ändern“

FEATURE: Gerade London hat stark von russischem Geld profitiert. Wie ernst meint es die britische Außenministerin Elizabeth Truss, wenn sie jetzt ankündigt, es werde keine Versteckmöglichkeit mehr geben „für jene, die das russische Regime unterstützen“? 

Bill Browder: Ich liebe die Überschriften, aber der Teufel steckt im Detail. Ich möchte ihr keine Komplimente machen, bevor sie gehandelt hat. Die Sanktionsmöglichkeiten wurden nicht einmal teilweise ausgeschöpft. Einzige Ausnahme war die Reaktion auf das Hacking der amerikanischen Wahlen 2018. Danach wurden sieben reiche Russen sanktioniert. In Moskau war das, als wäre eine Neutronenbombe niedergegangen. Es schockierte die Oligarchen wie nichts zuvor.

FEATURE: Sie meinen, Großbritannien spielt eine Schlüsselrolle? 

Ja. Russisches Geld hat oft dazu geführt, dass strenge Reaktionen auf bösartige russische Aktivitäten ausblieben. Auf die Vergiftung in Salisbury mit einem Nervengift folgte lediglich die Ausweisung russischer Diplomaten, die durch andere Diplomaten ersetzt wurden. Aber welche Sünden auch immer von der britischen Regierung in der Vergangenheit begangen wurden. Wir sind in einer existentiellen Krise. Wenn Russland in die Ukraine einmarschiert, dann ist das wie damals, als Hitler die Tschechoslowakei besetzte.

Aufgrund des ganzen russischen Geldes in unserem Land hat das Vereinigte Königreich ein echtes Druckmittel, das weit über sein sonstiges Gewicht in der Welt hinausgeht. In London kann der Ausgang dieser Krise entschieden werden, indem die Vermögenswerte dieser Oligarchen eingefroren werden. Noch mehr russisches Geld als in London wird auf der Kanalinsel Jersey versteckt, einem Offshore-Finanzplatz. Die Insel Jersey kann den Lauf der Geschichte ändern, indem sie diese Vermögen einfriert.

FEATURE: Welche Rolle kann die Europäische Union spielen?

Bill Browder: Ich hege Zweifel, ob gerade die Europäische Union zu solchen Schritten bereit ist. Verschiedene Politiker in der EU stehen auf Putins Payroll. Gerhard Schröder etwa. Er ist Putins bezahlter Vollblut-Propagandist. Die Außenpolitik der EU verlangt Einstimmigkeit. Das Veto eines Mitgliedsstaats, ob Ungarn, Zypern oder Malta, würde reichen, um neue Sanktionen zu berhindern.

FEATURE: Wie bewerten Sie die Reaktion der deutschen Regierung?

Bill Browder: Ich bin ziemlich enttäuscht von der neuen deutschen Regierung. Sie scheint eher für Appeasement zu stehen als für eine harte Haltung. Ich glaube, Putin setzt auf Deutschland. Für ihn haben seine jetzigen Handlungen eine klare Belohnung. Sie stärken seine Position zuhause. Er wägt die Belohnung für einen Krieg gegen die Risiken ab. Wenn er weiß, dass die Reaktion nicht so hart ausfallen wird, wie manche es wollen, könnte er denken, dass der Nutzen eines Angriffs die Risiken überwiegt und einmarschieren. Die deutsche Appeasement-Politik stellt daher die größte Gefahr für den Frieden dar.

Bill Browder (r.) im Video-Interview mit Holger Christmann. Foto: HC

FEATURE: Hat sich Deutschland mit seiner Abhängigkeit von russischem Gas in eine schwierige Lage manövriert?

Bill Browder: Diese ganze Story frustriert mich maßlos. Vor fünf Jahren habe ich gesagt, dass der Bau einer neuen Pipeline Deutschland in eine unmögliche Situation manövriert. Sie macht Deutschland verwundbar. Das Land hätte in den letzten zehn Jahre andere Gaslieferanten finden können. Die jetzige Abhängigkeit schafft eine gefährliche Situation.

FEATURE: Haben Sie in Ihrem Kampf für den Magnitzki Act Verbündete in Deutschland?

Bill Browder: Ich habe viele Verbündete in Deutschland, über Parteigrenzen hinweg: den CDU-Politiker Norbert Röttgen, Manuel Sarrazin von den Grünen und Gyde Jensen von den Freien Demokraten. Wir trafen aber auch auf eine fast schon institutionelle Abneigung. Vielleicht entspricht das der öffentlichen Meinung in Deutschland. Es gibt dort dieses seltsame Gefühl, nicht zu streng mit Russland sein zu wollen. Man sagte uns: Wir müssen sie, die Russen, verstehen, wir müssen mit ihnen auskommen. Aber Wladimir Putin ist kein Mann, der verstanden werden muss, er muss eingedämmt werden. Deutschland ist aufgrund seiner Sympathien für Wladimir Putin eine der frustrierendsten Erfahrungen für mich, und Wladimir Putin nutzt das aktuell zu seinem Vorteil.

FEATURE: Was könnte die deutsche Regierung tun? Was erwarten Sie von ihr?

Bill Browder: Die deutsche Regierung sollte sich der amerikanischen und britischen Regierung anschließen und versuchen, über die Oligarchen an Wladimir Putins Geld herankommen. Es ist eine präzise, chirurgische Art, Putins Verhalten zu beeinflussen. Sie birgt keine Kollateralschäden für die russische Bevölkerung und auch nicht für die deutsche Wirtschaft. Sie ist der wahrscheinlichste Weg, um Blutvergießen zu verhindern. Deutschland sollte hier als größtes europäisches Land eine Führung in der Europäischen Union übernehmen.

FEATURE: Der US-Kongress verabschiedete den Magnitzky Act im Jahr 2012. Seitdem werben Sie auch in anderen Ländern für ein solches Gesetz. Sie machen sich mit Ihrer Arbeit viele Feinde. Sind Sie vorsichtig, wohin Sie reisen?

Browder: Ich habe kein Sorge, nach Deutschland zu reisen, aber ich fühle mich nicht wohl bei dem Gedanken, nach Ungarn zu reisen. Ich reise lieber in Staaten mit funktionierender Judikative, Länder, in denen die Gerichte mächtiger sind als die Regierungen.

„Nawalny könnte
Russlands nächster
Präsident werden“

FEATURE: Ihre Arbeit im Rahmen des Magnitzki Act geht inzwischen weit über Russland hinaus. Kürzlich forderten Sie auch Australien auf, Beamte in China zu sanktionieren.

Bill Browder: Ich hatte nie vor, Menschenrechtsaktivist zu werden. Wenn Sie mich als 25-Jährigen an der Business School in Stanford gesehen hätten, vor 32 Jahren, da war ich die geschäftssinnigste Person, die Sie sich vorstellen können. Nach dem Tod von Sergej wurde ich Menschenrechtsaktivist in Vollzeit. Heute kommen die Leute mit anderen schrecklichen Geschichten zu mir, nicht nur aus Russland.

Vor Jahren traf ich in Washington D.C. eine Frau aus Xinjiang. Sie ist Reporterin. Sie war die erste, die über die Konzentrationslager für Uiguren berichtete. Daraufhin wurden Mitglieder ihrer Familie verhaftet und in Konzentrationslager eingesperrt. Ich wurde ein Anwalt für ihre Sache und für die Sache der Uiguren.

Kürzlich kam Carine Kanimba zu mir, die Tochter von Paul Rusesabagin. Er war die Inspiration für die Hauptfigur im Film Hotel Ruanda. Sie erzählte mir die Geschichte ihres Vaters, der ein Gegner des Präsidenten Paul Kagame ist. Er wurde illegal gekidnappt und nach Ruanda verschleppt wurde. Ich habe mich ihrer Sache angeschlossen. Ich nutze dafür meine Kontakte zu Regierungen und Medien und meine Expertise im Kampf gegen Unrecht. Ich bin eine Art Guerilla-Krieger in der Welt der Menschenrechte.

Mein Vorteil ist: Ich kann mich selbst finanzieren. Ich muss kein Geld beschaffen. Sobald man das tun muss, hat man einen Vorstand und muss diesem erklären, wieso man sich Feinde macht. Ich habe ein kleines Team von Guerillakriegern um mich herum. Wir können unsere Strategie tausendmal ändern, wenn wir wollen.

FEATURE: Haben Sie mit Alexej Nawalny zusammengearbeitet?

Bill Browder: Anfangs. Er begann mit Corporate-Governance-Kampagnen, so wie ich. Als ich aus Russland ausgewiesen wurde, setzte er seine Nachforschungen über Wirtschaftskorruption fort. Wir nutzten Youtube, er tut das auch, und das in einem weit größeren Ausmaß als wir.

Die Russen beschuldigten Nawalny, ein westlicher Spion zu sein. Über mich sagten sie, ich sei sein Führungsoffizier. Weil er jetzt in Haft ist, spreche ich sehr bewusst nicht zu viel über meinen Kontakt zu ihm. Ich möchte ihm nicht mehr Schwierigkeiten bereiten als er sie ohnehin schon hat. Je nachdem, wie sich die Dinge entwickeln, könnte er der nächste Präsident Russlands werden. Das ist durchaus möglich.

FEATURE: War es eine richtige Entscheidung von Nawalny, nach Russland zurückzukehren?

Bill Browder: Es war eine schreckliche Entscheidung, und er könnte im Gefängnis sterben. Aber wenn er überlebt – das war das Risiko, das er eingehen musste – kann er Russlands nächster Präsident werden. Er ist jetzt wirklich wählbar. Ein Mann, der bereit ist, für sein Land seine Freiheit zu opfern. Das ist eine überzeugende Botschaft.

Browder mit Dominic Raab, dem damaligen Außenminister und jetzigen Justizminister Großbritanniens, und den Hinterbliebenen der Familie Magnitzki, Ehefrau Natalia und Sohn Nikita, 2020 bei der Präsentation der ersten Magnitzki-Sanktionen des Landes. Foto: Pippa Fowles/UK Parlament

FEATURE: Als Putin in jener Pressekonferenz mit Donald Trump 2018 in Helsinki Ihren Namen ins Spiel brachte und Ihren Kunden vorwarf, Steuern nicht bezahlt zu haben, was ging da in Ihnen vor?

Bill Browder: Ich war zu dieser Zeit in Amerika und fragte mich, ob Trump die Abteilung für Homeland Security vorbeischicken und mich in einen Flug nach Moskau setzen würde. Das war ziemlich furchterregend. Wäre das passiert, wäre ich heute tot.

Aber klar ist auch: Ich weiß, was Putin mehr als alles andere aufregt: dass jemand hinter seinem Geld her ist. Deshalb sprach er meinen Namen aus.

FEATURE: Fühlen Sie sich persönlich von Russland bedroht?

Bill Browder: Ja. Sie haben mich mit dem Tod bedroht. Sie drohten, mich zu kidnappen, sie stellten acht Interpol-Haftbefehle aus, sie ließen mich verhaften, sie ersuchten um meine Auslieferung. Ich wurde 2018 in Spanien festgenommen, auch in Genf wurde ich kurz festgehalten. Auch heute schicken sie dauernd Briefe an Staatsanwälte überall in Europa, um mich zu fassen oder um Informationen über mich zu bekommen. Das Putin-Regime ist wirklich ein abscheuliches Regime.

FEATURE: Sie sagen, die Tatsache, dass Sie nicht abtauchen, sondern öffentlich weiterkämpfen biete einen gewissen Schutz. Die Leute, die sich aus Angst versteckten, würden ermordet.

Bill Browder: Wer sich versteckt, wird ganz gewiss ermordet. Wenn man nicht relevant ist, kann man getötet werden, und niemanden wird es kümmern. Es hilft, eine öffentliche Figur zu sein. Aber nachdem ich diesen Satz 2014 schrieb, sagte eine andere Person etwas ganz Ähnliches: Boris Nemzow. Dann wurde er direkt vor den Mauern des Kreml ermordet. Nichts hindert Putin am Ende des Tages, wenn er sich entscheidet, zu handeln.

FEATURE: Wie sicher fühlen Sie sich in England?

Bill Browder: Ich fühle mich nicht besonders sicher, aber ich verbringe den Tag auch nicht damit, dauernd über meine Schulter zu blicken. Ich treffe Sicherheitsvorkehrungen, verhalte mich wenig vorhersehbar. Ein Anschlag erfordert Planung, und Killer verlassen sich meistens auf eine Gewohnheit. Wenn man Gewohnheiten meidet, macht man es den Mördern schwerer. Natürlich: Wenn Sie mich wirklich töten wollen, wird sie nichts davon abbringen. Ich versuche lediglich, es ihnen ein bisschen schwerer zu machen. Das Entscheidende ist: Ich werde nicht von meiner Mission ablassen. Sie töteten meinen Anwalt Sergej Magnitzki, und seitdem setze ich mich für Gerechtigkeit ein. Ich lasse mich nicht von ihnen aufhalten, bis ich beendet habe, was ich angefangen habe.

FEATURE: Auch die Witwe von Sergej Manitzki arbeitet in Ihrem Team.

Bill Browder: Das tut sie, und sie war eine große Hilfe in unserer Kampagne. Niemand ist effektiver als jemand, der selbst Opfer geworden ist.

FEATURE: Sind Sie immer noch als Investor tätig?

Bill Browder: Ich investiere mein Geld, um mit den Profiten meine Arbeit zu finanzieren. Hermitage Capital ist die Basis für unsere Kampagnen.

FEATURE: Sie schreiben an einem neuen Buch. Wovon handelt es?

Bill Browder: Es kommt Juni heraus und heißt Freezing Order. Es geht in dem Buch darum, das Geld einzufrieren, das zu Wladimir Putin führt. Das Buch wird auf Englisch, Niederländisch, Finnisch und Schwedisch erscheinen, aber seltsamerweise wollte kein deutscher Verleger es veröffentlichen. Im Westen stehe ich als Mann da, der Putin die Stirn bietet. In Deutschland gibt es nicht viel Sympathie für mich. Hoffen wir, dass dieses Gespräch etwas ändert.

FEATURE:  Wir bedanken uns für das Gespräch.

© Holger Christmann

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